1396 - Das Blut der Sinclairs
verließen. Jorge ging auf Nummer sicher und bedrohte mich mit der Waffe.
Dagegen sprach Lucy. »Keine Sorge, John wird keine Probleme machen. Er ist doch auch neugierig – oder?«
Das war ich in der Tat.
Lucy schickte Jorge und Abel los. »Ihr wisst, was ihr zu tun habt. Und beeilt euch etwas.«
»Klar.«
Beide gingen los. Ihr Ziel war dieser dunkle Klotz.
»Was ist das?«, fragte ich.
»Kennst du ihn nicht?«
»Nein.«
»Aber dein Vater kannte diesen Ort.«
Zack, die Antwort hatte gesessen. Ich spürte in mir so etwas wie einen kalten Schauer, der auch nicht weichen wollte. Leider gab Lucy keine weiteren Erklärungen ab, doch ich ging davon aus, dass sie mehr wusste, als sie bisher zugegeben hatte. Das waren eben nichts anderes als Bruchstücke gewesen. Daraus konnte ich noch kein Bild herstellen.
Ich hörte das Knarren einer Tür und wusste somit, dass es sich um ein Gebäude handelte. Wieder konnte ich meinen Mund nicht halten und wollte wissen, ob wir vor einem wichtigen Haus standen.
»Nur bedingt, John!«
»Was ist es dann?«
»Eine Kirche.«
Ich schwieg. Mit dieser Erklärung hatte ich nicht gerechnet. Der Schreck war mir tief in die Glieder gefahren, und ich konnte nur den Kopf schütteln. Obwohl mich Lucy wahrscheinlich nicht angelogen hatte, hatte ich meine Probleme mit ihrer Antwort.
»Habe ich richtig gehört, dass es eine Kirche ist?«
»Ja.«
»Hier in der Landschaft? So ganz allein und ohne irgendeinen Ort in der Nähe?«
»Genau so ist es.«
Das konnte ich einfach nicht fassen. Ich stand da, als hätte man mich geschlagen.
»Ich sehe keinen Ort, zu dem die Kirche gehört hätte«, sagte ich.
»Sie steht doch nicht einfach mitten in der Landschaft.«
»Doch, denn sie ist eine besondere. Für mich ist sie die einzig wahre Kirche.«
»Aha.«
»Du wirst sie sehen, denn es ist sehr wichtig, dass wir sie betreten, denn hier lässt sich das Geheimnis möglicherweise lüften. Nein, sogar ganz sicher.«
»Welches Geheimnis?«
»Das weißt du selbst.«
»Das der Lanze.«
»Ja.«
»Und mein Vater hat davon gewusst zu seinen Lebzeiten?«
»Ich denke schon.«
»Und warum hat er mir nichts davon gesagt, zum Henker?«
»Es bestand wohl kein Grund.«
»Und jetzt gibt es ihn?«
»Wir werden sehen.«
Ich hatte zahlreiche Antworten bekommen, aber zufrieden konnte ich darüber nicht sein. Im Gegenteil, die Fragen waren noch mehr geworden, und ich war gespannt, wie sich die Dinge weiterhin entwickeln werde. Mein alter Herr hatte damals im Zentrum gestanden. Ich war sein Sohn und auch sein Nachfolger.
Wollte ich das überhaupt? Ich begann an mir selbst zu zweifeln, wenn ich dabei an meine eigene Vergangenheit dachte und auch daran, dass ich nicht mein erstes Leben führte. Aber eines war geblieben, das Kreuz. Deshalb sah ich mich in der Nachfolge der Kreuzbesitzer und hatte meinen Namen »Sohn des Lichts« nicht grundlos bekommen. Doch ich hatte das Gefühl, dass mein Vater einen völlig anderen Weg gegangen war, von dem ich bisher nichts wusste und der auch meiner Mutter unbekannt gewesen war, sonst hätte sie sicherlich mit mir darüber gesprochen.
Ich wollte und brauchte mir den Kopf nicht zu zerbrechen, in einigen Minuten würde ich hoffentlich klarer sehen, denn dass sich innerhalb der seltsamen Kirche etwas tat, das erkannte ich mit bloßem Auge. Es war schon ein beindruckendes Bild, denn Jorge und Abel hatte im Innern für Helligkeit gesorgt.
Normales Licht gab es hier nicht, so hatten sie auf Fackeln zurückgegriffen, die überall in der Kirche verteilt waren und ihren leicht unruhigen Schein abgaben. Er breitete sich aus, drang in die Fensteröffnungen hinein und füllte sie mit seinem Licht aus, das in den Farben gelb und rot schimmerte.
»Dann können wir ja gehen«, sagte ich.
»Warte, bis sie zurück sind.«
»Okay.«
Die Spannung in mir nahm zu. Ob ich die Lösung schon sofort präsentiert bekam, stand noch in den Sterben, aber ich ging davon aus, dass man mich nicht dumm lassen würde. Dazu war ich einfach zu wichtig als Sohn des Horace F. Sinclair.
Verdammt noch mal, welches Vermächtnis hatte er mir hinterlassen? Warum hatte ich nicht früher mit ihm über seine Vergangenheit gesprochen? Ein Geheimnis hatte ich enträtseln können, als es um den König Lalibela gegangen war. Aber womit musste ich noch rechnen?
Ich wusste es nicht, aber die Person neben mir, die wusste mehr.
Nur hielt sie sich mit ihrem Wissen bedeckt, aber das würde sich hoffentlich
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