1396 - Das Blut der Sinclairs
wunderte.
Es war ein schlichter Tisch aus Stein. Kein Gabentisch. Es war in das Material auch nichts hineingeritzt worden. Ich sah die glatte Platte, die auf einem Fuß stand.
Es war schon ein wenig enttäuschend für mich, dies zu sehen, und Lucy schien das zu bemerken. »Du bist in keiner normalen Kirche, sondern in unserem Tempel.«
»So ist das.«
»Setz dich!«
»Wohin?«
»Spielt keine Rolle.«
Da die linke kleine Bank mir näher stand als die rechte, nahm ich dort Platz. Wieder spürte ich das Ziehen in meinen Muskeln, aber das war jetzt unwichtig geworden.
Lucy setzte sich neben mich. So dicht, dass sich unsere Körper berührten.
»Du kennst die Kirche nicht, John?«
»Das sagte ich bereits.«
»Aber dein Vater kannte sie.«
Ich lachte ebenso leise, wie wir gesprochen hatten. »Das wundert mich in diesem Fall nicht.«
»Und ich kenne die Kirche auch. Das heißt, sie zu betreten, ist keine Premiere für mich.«
»Ich habe nichts anderes angenommen.«
»Und was schließt du daraus?«
Ich wusste, was sie hören wollte, und hielt damit nicht hinter dem Berg. »Deshalb denke ich, dass du meinen Vater gekannt hast.«
Für einen Moment war Stille, dann vernahm ich ein fast schon ehrfürchtig klingendes »Ja, das habe ich«.
»Und weiter?«
»Er war ein toller Mann.«
»Du brauchst mir das nicht zu sagen, Lucy. Ich habe mich ebenfalls mit ihm gut verstanden.«
Mich hatte ein seltsames und auch komisches Gefühl überkommen. Zwischen Lucy und mir herrschte plötzlich eine Vertrautheit, deren Ursprünge ich nicht begriff. Hing es nur damit zusammen, dass auch sie meinen alten Herrn gekannt hatte, oder was war es?
»Wahrscheinlich hast du ihn besser gekannt als ich«, erklärte ich.
»Durch meinen Beruf bin ich viel unterwegs gewesen und konnte mich nur wenig um die Eltern kümmern.«
»Nein, John, so oft haben wir uns auch nicht gesehen. Es lagen immer längere Zeitspannen dazwischen, aber wenn wir uns trafen, war es stets sehr intensiv.«
»Das deutete darauf hin, dass ihr euch gut verstanden habt.«
»Stimmt genau. Unsere Ziele waren gleich, auch wenn wir so unterschiedlich waren.«
»Wie sahen die aus?«
Die Antwort irritierte mich etwas, denn sie sagte: »Wir wollten den wahren Sinn des Lebens in der Vergangenheit erkennen und sahen uns als Teile des Ganzen.«
»In dieser Kirche?«
»Ja, hier.«
»Aber sie hat mit der normalen Kirche nichts zu tun, denke ich. Es ist vorstellbar, dass Rom oder der Vatikan euer Treiben hier nicht gutgeheißen hätte, richtig?«
Lucy lächelte kantig. »Ja, davon kannst du ausgehen.«
Jorge war zu unserer Bank gekommen. Er beugte sich zu Lucy herab und sprach flüsternd mit ihr. Leider verstand ich nicht, was sich die beiden zu sagen hatten.
Lucy nickte und sagte schließlich: »Okay, tu es.«
»Ich nehme Abel mit.«
»Meinetwegen.«
Jorge entfernte sich wieder. Er ließ uns allein zurück, weil auch er davon überzeugt war, dass ich seine Chefin nicht angreifen und fliehen würde.
Ich wartete, bis die Tür wieder zugefallen war, und sprach Lucy wieder an. »Also, warum hat die offizielle Kirche diesen Bau hier nicht anerkannt. Doch nicht nur, weil er keine Kreuzform hat?«
»Das ist wirklich nicht der Grund.«
»Was ist er dann?«
»Es gab eine wunderbar Zeit, in der dein Vater sich zu uns bekannt hat, John.«
»Aha, wir kommen der Sache näher. Zu uns, sagtest du? Zu einer Gruppe oder Gemeinschaft?«
»Ja, das kann man so sehen. Dein Vater hat damals den Weg zu uns gefunden.«
»Damals also«, sagte ich. »Aber er ist bis zu seinem Tod nicht bei euch geblieben – oder?«
»Nein, leider nicht. Trotzdem ist die Verbindung nie ganz abgerissen.«
»Darf ich endlich fragen, welch ein Bund das war? Oder welch eine Gemeinschaft?«
»Du darfst, John, denn ich habe dich hierher gebracht, um dir einige Antworten zu geben. Dein Vater, John Sinclair, gehörte zu den Illuminaten…«
***
Hinter Jorge und Abel fiel die Tür nach ihrer knarrenden Melodie zu. Beide blieben vor ihr stehen, und Abel holte aus seiner Tasche einer Zigarettenschachtel. Er klaubte ein Stäbchen hervor, klammerte es zwischen seine Lippen und führte die Flamme des Feuerzeugs an das Ende.
Jorge rauchte nicht. Dafür trug er Bedenken vor, die er mit Abel schon mal diskutiert hatte.
»Mir gefällt es immer noch nicht«, erklärte er. »Es ist nicht so gelaufen, wie wir es uns vorgestellt haben.«
Abel blies den Rauch in die Höhe. »Was stört dich?«
»Nun ja.« Jorge
Weitere Kostenlose Bücher