1396 - Das Blut der Sinclairs
änderte.
Ich hatte ihn anders erlebt. Die Person hatte ich stets als hart empfunden. Nicht nur innerlich, sondern auch außen. Und nun schaute sie mich mit einem Blick an, der so ganz anders war, als hätte sie alle Härte, die in ihr steckte, aufgegeben. Sie blickte mich mit einem Ausdruck an, den ich schlecht beschreiben konnte, aber irgendwie passte der Begriff warmherzig dazu. Wollte sie mich mit den Waffen einer Frau herumbekommen?
Ich rückte etwas von ihr weg, um ihr zu zeigen, was ich von dieser Veränderung hielt.
»Du solltest nicht zur Seite rücken, sondern näher an mich herankommen, John.«
»Das musst du schon mir überlassen.«
Lucy schüttelte den Kopf. Mit leiser Stimme sagte sie: »Das glaube ich nicht.«
»Und warum nicht?«
Sie lächelte etwas verloren. »Weil es mehr Gemeinsamkeiten zwischen uns gibt, als du bisher weißt.«
Ich runzelte die Stirn und deutete zugleich ein Kopfschütteln an.
»Bitte, ich weiß nicht, was das soll und mit welchen Tricks du mir ankommen willst…«
»Es ist die Wahrheit.«
»Und wie hört sie sich an?«
Das eingefrorene Lächeln verschwand aus ihrem Gesicht. Es bekam einen sehr ernsten Ausdruck. Ich wunderte mich sogar darüber, dass sie leicht zitterte.
»Die Wahrheit ist ganz einfach. Du und ich, John, wir haben denselben Vater…«
»Hä…?«
Sie sprach weiter und legte dabei eine Hand auf den Arm. »Ich bin deine Halbschwester…«
***
Jane Collins atmete auf, als sie sah, welchen Wagen die Nolans fuhren. Hinter dem Haus stand ein alter Militärjeep, der für ein schwieriges Gelände wie geschaffen war. Da brauchten sie keine festen Straßen, wenn sie zum Ziel kommen wollten.
Selbst in der Dunkelheit sah die Detektivin, dass dieses Fahrzeug von oben bis unten verdreckt war. Der Lehm klebte an den Seiten, die mit einer dicken Schicht bedeckt waren.
»Steigen Sie ein.«
»Danke.«
Jane nahm auf dem eiskalten Sitz Platz. Das Leder war an einigen Stellen gerissen, doch das machte ihr nichts. Für sie war wichtig, dass sie hier wegkam und zu dieser ungewöhnlichen Kirche gefahren wurde, um die sich so viele Geheimnisse rankten. Einen Beweis hatte sie noch nicht, doch sie ging davon aus, dass diese Kirche etwas mit ihrem Fall zu tun hatte.
Als Nolan neben ihr saß, schlug sie die Tür zu. »Springt der Wagen auch an?«
»Bisher habe ich keine Probleme gehabt.«
»Dann bin ich beruhigt.«
Auch jetzt reagierte der Motor, kaum dass er den Zündschlüssel gerochen hatte. Edgar Nolan warf Jane einen lächelnden Blick zu.
»Sehen Sie, man kann sich auf die alten Möhrchen verlassen. Ich habe ihn vor drei Jahren gekauft und viel Arbeit hineingesteckt. Die fünfzig Pfund waren gut angelegt. Mehr brauchte ich dem Schrotthändler nicht zu zahlen. Aber ich habe ein Auge für Fahrzeuge und wusste sehr schnell, dass man hier noch was machen kann.«
»Kompliment.«
»Ach, es ist mein Hobby.«
Mittlerweile fuhren sie, und Jane merkte, dass die Reifen wirklich alle Hindernisse nahmen. Nichts hielt sie auf, als sie sich ihren Weg durch das Gelände bahnten. Manchmal kam sie sich vor, als würde sie auf dem Rücken eines Pferdes sitzen, denn dann bockte das Fahrzeug und schleuderte auch seine Passagiere in die Höhe.
Das Licht der Scheinwerfer war nicht besonders hell. Wahrscheinlich waren die beiden Glasaugen auch verschmutzt. So genau hatte Jane da nicht hingesehen.
Sie rollten hinein in die Nacht, und wenn Jane ehrlich zu sich selbst war, dann musste sie zugeben, dass sie die Orientierung längst verloren hatte.
»In welche Richtung fahren wir jetzt?«, fragte sie.
»Quer über die Felder.«
»Über ihre?«
»Auch.«
»Und wie sieht es mit normalen Wegen aus?«
Nolan lachte. »Okay, die gibt es. Aber Sie wollen doch so schnell wie möglich das Ziel erreichen – oder?«
»Klar.«
»Dann müssen wir querfeldein fahren. Ich hoffe auch, dass wir uns nicht irren.«
»Wie meinen Sie das?«
»Ganz einfach. Dass Sie dort diejenigen finden, die Sie suchen.«
»Ja, aber ich möchte Sie darauf hinweisen, dass ich nicht unbedingt gesehen werden will. Die Männer sind gefährlich. Wenn sie merken, dass wir uns ihnen nähern, werden sie keine Rücksicht kennen.«
»Das heißt, sie würden schießen.«
»Mit Sicherheit.«
Der Landwirt fuhr langsamer. »Und was schlagen Sie vor, wie ich mich verhalten soll?«
»Am besten ist es, wir fahren ohne Licht!«
Nolan zuckte leicht zusammen. »Oh, das wird problematisch werden, wenn ich ehrlich bin. Ich
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