14 - Im Schatten des Grossherrn 03 - Von Bagdad nach Stambul
Leichen aussahen. Omar war nicht dabei, das sah ich an den Kleidern. Das Gesicht des einen war unverletzt, und ich erkannte augenblicklich jenen Alexander Kolettis, welcher den Haddedihn wieder entkommen war. Aber wer war der andere? Er war schlechterdings unmöglich zu erkennen. Er hatte einen fürchterlichen Tod gehabt, wie mir einer der Nahestehenden bemerkte, welcher es mit angesehen hatte. Es war ihm nämlich geglückt, schon während er im Stürzen war, mit der Hand den unteren Teil eines der Gitterstäbe zu erfassen; aber er hatte sich kaum eine Minute lang festhalten können, dann war er herabgestürzt.
Unwillkürlich warf ich einen Blick auf seine Hände. Ah, er hatte quer über die rechte Hand einen Schnitt; dies war jedenfalls diejenige mit der er sich festgehalten hatte; er war nicht verunglückt, sondern er war herabgestürzt worden. Wo war Omar?
Ich drängte mich nach dem Turm zu und trat ein. Ein Bakschisch erwarb mir die Erlaubnis, ihn zu besteigen. Ich eilte auf den fünf Steintreppen durch die fünf untersten Stockwerke, dann die nächsten drei Holztreppen bis in den Kaffeeschank empor. Nur der Kawedschi war zu sehen, aber kein Gast. Bis hier herauf sind 144 Stufen zu steigen. Nun stieg ich noch die 45 Stufen bis zu dem Glockenstuhl empor, der mit Blech gedeckt und sehr abschüssig ist. Von hier aus schwang ich mich hinaus auf die Galerie. Ich suchte den etwa fünfzig Schritt betragenden Umkreis derselben ab und fand auf derjenigen Seite, wo unten die Toten lagen, mehrere Blutflecken. Es hatte ein Kampf stattgefunden, ehe sie hinabgeworfen worden waren. Ein Kampf in dieser Höhe, auf glattem, abschüssigem Boden, und zwar einer gegen zwei, wie ich vermutete! Es war schrecklich!
Ich stieg, ohne mich in der Kaffeestube zu verweilen, eilig wieder nach unten und lief nach Hause. Der erste, welcher mir im Selamlik entgegentrat, war Jacub Afarah. Sein Gesicht glänzte vor Freude; er umarmte mich und rief:
„Emir, freue dich mit mir; ich habe meine Juwelen wieder!“
„Undenkbar!“ antwortete ich.
„Und dennoch ist es wahr!“
„Wie hast du sie wieder erhalten?“
„Dein Freund Omar hat sie mir gebracht.“
„Woher hat er sie?“
„Ich weiß es nicht. Er gab mir das Paket und ging sofort hinüber in das Gartenhaus, wo er sich in seine Stube eingeschlossen hat. Er will keinem Menschen öffnen.“
„Ich werde sehen, ob er nicht mit mir eine Ausnahme macht.“
An der Tür des Gartenhauses stand Halef. Er trat mir nahe und sagte halblaut:
„Sihdi, was ist geschehen? Omar Ben Sadek kam nach hause und blutete. Jetzt wäscht er sich die Wunde aus.“
„Er hat Abrahim Mamur getroffen und ihn vom Turm gestürzt.“
„Maschallah! Ist es wahr?“
„Ich vermute es, doch wird es nicht viel anders sein. Natürlich dürfen nur wir davon wissen. Schweige also!“
Ich ging an Omars Tür, pochte an und nannte meinen Namen. Er öffnete sogleich und ließ auch Halef eintreten. Er erzählte uns ganz unaufgefordert, was geschehen war.
Er war erst mit dem Arzt, den er zurückbegleitete, und dann wieder mit den Trägern, welche den Barbier holen sollten, nach Kolettis' Wohnung gekommen und hatte dort Abrahim Mamur und Alexander Kolettis im leisen Gespräch sitzen sehen, ohne jedoch einen von ihnen zu kennen. Er hatte einige zerstreute Worte ihres Gespräches vernommen und war aufmerksam geworden. Er stand auf und verließ das Zimmer, kehrte aber durch die zweite Tür des Flures in die leere Nebenstube zurück, wo er das Gespräch der beiden hörte, da sie sich unbeachtet glaubten und also lauter redeten.
Sie hatten von den Kleinodien aus Damaskus gesprochen, welche sie aus dem Turm holen wollten, wo einer der Wächter zu den Leuten Abrahims gehörte. Omar kannte die Geschichte von dem Raub in Damaskus; er hatte sie von Halef gehört und glaubte nun, Abrahim Mamur gefunden zu haben. Der weitere Verlauf ihres Gespräches überzeugte ihn, daß seine Vermutung die richtige sei, denn Abrahim erzählte von seiner gestrigen Flucht über das goldene Horn.
Der Lauscher kehrte nun in die Stube zurück und beschloß, den beiden nach dem Turm zu folgen. Er hatte sie so unbeobachtet belauschen können, weil die Wirtin draußen im Hof beschäftigt gewesen war. Als sie gingen, folgte er ihnen. Sie waren mit einem der Wächter lange Zeit in dem schmutzigen Erdgeschoß des Turmes geblieben, welches als Hühnerstall benutzt wird, und dann die Treppen emporgestiegen. Er folgte. In der Kaffeestube hatte jeder eine
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