14 - Roman
hatte sich mit dem übrig gebliebenen Arm unter Blanches rechtem Arm eingehakt, und Blanche schob mit der linken Hand einen Kinderwagen mit der schlafenden Juliette darin. Anthime trug Schwarz, Blanche war ebenfalls in Trauer, das fügte sich gut zu den ringsum vorherrschenden Farben, Flecken von Grau, Braun, Eisenbahngrün, abgesehen von den verblichenen Vergoldungen der Geschäftsinschriften, die matt in der Junisonne leuchteten. Anthime und Blanche unterhielten sich nur wenig, erwähnten nur kurz das Neueste aus der Zeitung: Wenigstens ist dir Verdun erspart geblieben, hatte sie eben gesagt, ohne dass er es für angebracht hielt, etwas darauf zu antworten.
Jetzt dauerten die Kämpfe seit bald zwei Jahren an, die immer schneller aufeinanderfolgenden Einberufungen leerten das Land, und so waren immer weniger Menschen auf der Straße, ob nun Sonntag war oder nicht. Nicht einmal mehr viele Frauen oder Kinder, denn das Leben war teuer, und man konnte kaum einkaufen: Die Frauen, die bestenfalls Kriegsrente bezogen, hatten Arbeit suchen müssen, da Männer und Brüder im Feld waren: Plakate kleben, Post austragen, Fahrscheine lochen oder als Lokomotivführer arbeiten, es sei denn, sie arbeiteten in Fabriken, vor allem solchen der Waffenindustrie. Die Kinder, die nicht mehr die Schule besuchten, fanden auch genügend Beschäftigung: Ab dem Alter von elf Jahren waren sie sehr gefragt, sie nahmen den Platz der Älteren in den Unternehmen ein und auch rings um die Stadt auf den Feldern – Pferde führen, Getreide dreschen, Vieh hüten. So blieben vor allem Greise übrig, obskure Existenzen, ein paar Invaliden wie Anthime und ein paar Hunde, angeleint oder nicht.
Einmal geschah es, dass einer dieser nicht in ihrer Bewegungsfreiheit gehinderten Hunde, von der Läufigkeit einer Artgenossin auf der anderen Seite des Quai de la Fosse aufgereizt, ungeschickt mit einem Rad des Kinderwagens zusammenstieß, ihn kurz aus dem Gleichgewicht zu bringen drohte, was Blanche mit einem beherzten Fußtritt quittierte, auf den hin er winselnd floh. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass Blanche die Situation unter Kontrolle hatte und seine Nichte nicht aufgewacht war, blickte Anthime dem frustrierten Tier nach, das jetzt von einer Straßenseite zur anderen stromerte, mit anhaltender Erektion, die jetzt aber zu nichts mehr nutze war, da das Objekt seiner Begierde während des kleinen Zwischenfalls verduftet war, und schließlich an der Ecke der Rue de la Verrerie verschwand.
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T iere hatte Anthime in diesen fünfhundert Tagen viele gesehen, Tiere aller Art. Denn der Krieg trifft zwar mit Vorliebe Städte, die er belagert, erobert, bombardiert und niederbrennt, aber er spielt sich auch viel auf dem Lande ab, wo es bekanntlich an Tieren nicht mangelt.
Zunächst einmal sind da Nutztiere, die man arbeiten lässt oder die man isst oder beides; sie waren sich selbst überlassen, nachdem die Bauern von ihren zu Kampfzonen gewordenen Höfen geflüchtet waren, wobei sie brennende Gebäude und von Kratern übersäte Felder zurückließen und ebenso Vieh und Hühnerhof. Eigentlich wäre es Aufgabe der Landwehr-Kompanien gewesen, die Tiere einzufangen und zu sammeln, aber das war keine so leichte Aufgabe bei umherirrenden Rindviechern, die bald mit einer Rückkehr in den nichtdomestizierten Zustand liebäugelten und entsprechend reizbar wurden, zumal die angriffslustigen Stiere, deren man sich nicht bemächtigen konnte. Es war keine so einfache Sache für die Landwehrmänner, nicht einmal für diejenigen bäuerlicher Herkunft, auf den Resten der Straßen herumvagabundierende Schafe zusammenzutreiben, stromernde Schweine, Enten, Hühner, Hähnchen und Hähne, die auf dem Wege waren, an den Rand der Gesellschaft zu geraten, oder obdachlos gewordene Kaninchen.
Wenigstens konnten diese zum Nomadentum übergehenden Arten gelegentlich als Erweiterung der ansonsten wenig abwechslungsreichen Alltagskost der Truppe dienen. Eines schönen Tages beispielsweise an eine orientierungslose Gans zu geraten, das war mal etwas anderes als kalte Suppe, Dosenfleisch oder Brot vom Vortag – Wein war immerhin kein Problem mehr, da die Intendantur ihn jetzt großzügig ausgab, zusammen mit Schnaps, der immer stärker gepflegten Vorstellung des Generalstabs folgend, dass der Rausch dazu beiträgt, den Mut des Soldaten zu stärken und vor allem sein Bewusstsein von seiner Lage zu dämpfen. Jedes eingefangene Tier bedeutete also ein potentielles Festmahl. Es geschah
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