14 Tante Dimity und der gefährliche Drache (Aunt Dimity Slays the Dragon)
Sabotage weit weg.
Die nächsten drei Stunden gab ich mich dem Zauber der Kirmes hin. Ich erkundete die grasigen Gassen, die vom Torhausplatz abgingen. Wenn ich Nachbarn begegnete, winkte ich ihnen freundlich zu, um dann jedoch schnell weiterzugehen. Mich drängte es danach, von unbekannten Gesichtern umgeben zu sein, mal was anderes zu sehen, und meine Ohren all dem Tratsch gegenüber zu verschließen, den ich längst auswendig kannte.
Die Gassen waren gesäumt von Marktbuden, die dem Jahrmarkt die Atmosphäre eines pulsierenden Dorfs verliehen. Einige waren nicht größer als ein Wandschrank, andere wiederum bestanden aus zweigeschossigen Bauten von der Größe unseres Wohnzimmers. Alle hatten Markisen oder kleine Vordächer, die auf die Gassen hinausgingen, wohl um die Kirmesbesucher vor sommerlichen Schauern zu schützen. Die Händler trugen Kostüme, die aus Baumwolle und Leinen geschneidert waren statt aus Samt und Satin, und sprachen eine Mundart, die entfernt an das mittelalterliche Englisch erinnerte. Mochte sie bisweilen auch schwer verständlich sein, unterhaltsam war sie allemal.
Die Gassen wanden sich durch den Wald, um sich gelegentlich zu kreuzen, und formten so ein vergnügliches Labyrinth, das hinter jeder Biegung mit Überraschungen aufwartete. Gern hätte ich mich in dem Gassengeflecht verloren, aber die Anordnung der Kirmes war übersichtlicher, als es auf den ersten Blick erschien: Alle Seitengassen führten mich irgendwann auf die Broad Street zurück, eine breite Durchgangsstraße, die den Hauptboulevard der Kirmes bildete und von größeren und aufwendigeren Ständen gesäumt war.
Wo immer ich mich auch hinwendete, immer wieder begegnete ich herumstreifenden Darstellern. Ich traf den Jongleur und den Lautenspieler, die ich vor dem Torhaus gesehen hatte, ein singendes Taschendiebpaar, eine Bauchtänzerinnengruppe, eine Schar geflügelter Feen, verschiedene Bettler – die wimmerten und katzbuckelten, bis ihnen Münzen entgegenflogen – und einen riesigen wandelnden Baum, in dessen Innern vermutlich ein Stelzengeher verborgen war und der klar von den Ents inspiriert war, J. R. Tolkiens fantastischen Wächtern des Waldes.
Auf kleinen Freilichtbühnen führten weitere Darsteller ihre Stücke auf, während die Zuschauer auf langen Holzbänken saßen. Die Penny Lane endete bei der Farthing Stage, wo Merlot der Prächtige fünf Mal täglich bizarre Zauberkunststücke zum Besten gab. Am Ende der Harmony Lane befand sich die Ministrel’s Stage, auf der Sänger, Musikanten und Tänzer auftraten, und die Ludlow Lane führte zur Shire Stage, einer Bühne, die sich fest in der Hand von Akrobaten, Jongleuren und Komödianten befand. Ganz in der Nähe befand sich der kleine Streichelzoo, und gern ließen sich die schlagfertigen Darsteller von den verschiedenen Tierlauten – Grunzen, Gekrächze – und den herben Gerüchen zu lustigen Improvisationen inspirieren.
Die Great Hall entpuppte sich als weitere Bühne. Doch auf ihr wurde weder getanzt, gesungen, jongliert, noch wurden Zoten gerissen. Das vergoldete Schild verkündete, dass sie ausschließlich König Wilfred vorbehalten war, der dort königliche Zeremonien abhielt, wie etwa Paare zu trauen oder Knappen zu Rittern zu schlagen. Die Bühne wurde beherrscht von einer Empore mit rotem Teppich, auf der ein prachtvoller vergoldeter Thron stand.
Pudding Lane war die Fressgasse der Kirmes, wo sich eine Imbissbude an die nächste reihte; hier wurden schmackhafte Fleischpasteten, Würste, Pommes frites, Obstkuchen, Schokolade, Honigkuchen und allerlei Leckereien feilgeboten, außerdem Apfelwein, Bier, Kräutertees und die gängigen Erfrischungsgetränke. Ich probierte einen Honigkuchen und fand ihn köstlich, doch als ich nach dem Rezept fragte, beschied mir die Verkäuferin bedauernd, dass es das Privileg des Königs sei, Rezepte herauszugeben.
Nicht von ungefähr mündete die Pudding Lane in einen großen Picknickplatz auf einem sanft abfallenden Hügel, von dem man den ovalen Turnierplatz und das sich anschließende Bogenschießgelände überblickte. Ein einfacher Zaun aus zwei Holzbalken umgab den Turnierplatz, und am westlichen Rand, gegenüber der Pudding Lane, stand ein riesiges weißes Zelt. Auf der dahinterliegenden Koppel konnte ich zwischen anderen Pferden die Ponys der Zwillinge grasen sehen. Doch auf dem Turnierplatz regte sich noch nichts. Ich nahm an, dass es sich die Ritter in dem weißen Zelt gut gehen ließen, während meine Söhne
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