140 - Zombies auf der Reeperbahn
Theater, das ungefähr achtzig
Personen Platz bot, standen dicht beieinander. Links der Tischreihen befanden
sich Separees. Die roten Vorhänge waren noch geöffnet. Spätestens nach der
ersten Show würde sich das ändern. Die Darstellerinnen gesellten sich dann in
der Regel zu den Zuschauern, flirteten, zogen sie in ein Gespräch, ließen sich
zu einem Drink einladen, und der wurde oft schon hinter geschlossenen Vorhängen
eingenommen. Das wurde dann in der Regel besonders teuer.
Die Dirne mit den kurzen, abstehenden Zöpfen
zwängte sich an den Tischreihen und den Menschen entlang.
Sie rempelte einfach einige Besucher zur
Seite und wurde von einer Kollegin angesprochen, die merkte, daß mit ihr etwas
nicht stimmte.
»Hey, Candy ... was ist denn los mit dir ?« Das Girl mit dem üppigen Busen streckte die Hand nach
Candy aus.
»Nichts ... es ist nichts ...« hörte Candy
sich mit fremder Stimme sprechen. Es waren ihre ersten Worte, die sie nach dem
grauenvollen Erlebnis draußen über die Lippen brachte. »Ich muß zu ... Billy
... ganz schnell zu Billy...«
Sie nannten ihn alle Billy. Er war Deutscher
und hatte in Wirklichkeit einen ganz anderen Namen. Aber den benutzte hier
niemand.
Billy war so etwas wie der Oberaufseher, der
Geschäftsführer, der direkte Berichterstatter für Wessener. Er kümmerte sich um
alles.
Billy war ein Kerl wie ein Kleiderschrank,
breitschultrig, muskulös, hatte einen Stiernacken und Hände wie Pranken. Er war
Mitte Dreißig und bis vor sieben Jahren, ehe er die Geschäfte im »Einäugigen
Pirat« und den anderen angeschlossenen Betrieben einschließlich der Verwaltung
des Hochhauses übernahm, Catcher gewesen.
Bei einer Vorführung in einem der
Wessener-Betriebe lernten sich die beiden Männer kennen.
Billy wurde zuerst Türsteher, lockte mit
marktschreierischen Texten die Leute in die Sex-Shows, fungierte als
Rausschmeißer, wenn einer Ärger bereitete, und arbeitete sich auf diese Weise
empor.
Heute bestimmte er, wie die Shows auszusehen
hatten und was die Mädchen umsetzen mußten. Kam eine nicht auf ihr Soll, wurde
sie ausgewechselt durch eine andere.
, Billy sah aus wie ein gutmütiger Bär. Er
war gesellig und wirkte freundlich, aber er war unberechenbar. Wenn ihm etwas
nicht paßte, flogen die Fetzen, dann konnte er eine ganze Einrichtung
zertrümmern oder verdrosch die Mädchen, daß sie tagelang mit blauen Flecken
herumliefen, die sie mühsam mit Schminke übertünchten.
Billy hatte langes, zotteliges Haar, lief am
liebsten in Lederhosen, hochgekrempelten Hemdsärmeln und einer speckigen
Lederweste herum, an der sich ein großer Sheriff-Stern befand. Ob der Stern
echt war, oder ob er ihn zu Fasching in einem Dekorationsgeschäft erstanden
hatte, wußte niemand. Der Stern war sein Image, ohne ihn ging er nicht aus,
ohne ihn ließ er sich in den Betrieben nicht sehen.
Billys Büro lag in einem Raum hinter der Bar.
Das Zimmer war groß und ausgestattet, als
hätte ein Filmarchitekt der Serie »Dallas« seine Finger im Spiel gehabt:
Mahagonitäfelung, ein ausladender Schreibtisch, hinter dem der Vierschrötige
mit seiner Lederweste und den hochgekrempelten Ärmeln zurückgelehnt im hohen
Sessel saß und seinen Stern polierte.
Candy schlug die Klinke herab und torkelte in
das Luxus-Büro.
Billys Augen verfinsterten sich. »He, hast
wohl ein paar Drinks zuviel gekippt, wie? Kannst du nicht anklopfen, wie sich
das gehört? Was willst du überhaupt hier? Weißt du eigentlich, wie spät es ist?
Tu’ was, der Laden ist voll. Auf deinem Konto steht diesen Monat noch das Komma
zu weit links .«
Candy atmete schnell, abgehackt berichtete
sie von den scheußlichen Dingen, die sie mitangesehen hatte.
»Jenny ... ist tot...«, berichtete sie
atemlos, stand vornübergebeugt vor dem Schreibtisch, und das kalte Grausen
spiegelte sich noch in ihren Augen.
»Sie ist... zum Skelett geworden ... ich
hab’s mit eigenen Äugen gesehen ... ein Mann ist aus dem Fenster gestürzt... er
ist tot... Morna, die neue, die erst gestern hier angefangen hat, wurde
niedergeschlagen ... der riesige Neger... er war mit einem Mal da...«
Billy bekam große Augen. Das, was Candy
erzählte, bewirkte, daß er sogar vergaß, seinen Sheriff-Stern weiter zu
polieren. »Willst du mich zum Narren halten ?« krächzte
er, und die Zornesader auf seiner Stirn schwoll. Er lief rot an wie ein Puter.
»Was für Zeug hast du geschluckt, daß du einen solchen Unsinn verzapfst, ich
...«
»Es ist die
Weitere Kostenlose Bücher