1404 - Der Weg in die Hölle
er lief damit auch in einen dunkleren Teil des Kellers hinein, denn hier gab es weit und breit kein Fenster. Deshalb musste er langsamer gehen.
Es gab diesen typischen alten, feuchten und muffigen Kellergeruch, der Harry bisher begleitet hatte und der auch jetzt noch vorhanden war. Bis er allerdings an einen Punkt geriet, an dem er stehen blieb, weil sich bei ihm das Misstrauen eingeschlichen hatte.
Es lag am Geruch, denn der hatte sich verändert, was er nicht eben als Vorteil ansah.
Harry Stahl wartete ab. Er knipste das Feuerzeug nicht an. Er wollte seine gesamten Sinne voll auf das konzentrieren, was da neu war.
Nichts wies auf eine drohende Gefahr hin. Sein Misstrauen blieb trotzdem bestehen. Wieder musste er schnüffeln. Der Geruch war ihm sehr wichtig. Und er fand heraus, wonach es roch. Nach Kleidung, aber auch nach Mensch.
Von diesem Augenblick an erwies sich die Dunkelheit als Störfaktor, den Harry ausschaltete. Wieder tat ihm das Feuerzeug gute Dienste. Die kleine Flamme flackerte, als hätte jemand gegen sie gepustet, sie breitete ihr Licht aus, das gegen eine Treppe fiel, die nach oben zu einer Tür führte.
Es wäre perfekt für ihn gewesen, hätte es da nicht ein Hindernis gegeben.
Auf den Stufen verteilten sich mehrere Menschen, und sie machten nicht den Eindruck, als wollten sie Harry Stahl vorbeilassen…
***
Harry Stahl blieb zunächst ruhig. Auch der Schock hielt sich in Grenzen. Für ihn gab es nur das Bild, das er sich vergegenwärtigen wollte. Schon beim ersten Hinschauen hatte er etwas Bestimmtes festgestellt. Nun wollte er herausfinden, ob er sich geirrt hatte oder nicht.
Er musste noch einen Schritt nach vorn gehen, um die unterste Stufe zu erreichen. Dann blieb er stehen und streckte die Hand mit dem Feuerzeug aus.
Das Licht geriet näher an die ersten Menschen heran, die bei dieser unruhigen Umgebung unwirklich aussahen. Es kam ihm vor, als hätte man bekleidete Schaufensterpuppen auf die Stufen gestellt, damit sie alle aufhielten, die nach oben wollten.
Oder auch Gestalten, die ihre Gräber verlassen hatten, um in der Welt der Lebenden Zeichen zu setzen.
Wenig später stellte er fest, dass er es doch mit normalen Menschen zu tun hatte, denn er hörte das Atmen. Verschiedene Geräusche, manchmal stöhnend, dann wieder zischend. Wie sie auch Luft holten und sie wieder ausstießen, das kam ihm schon beklemmend vor.
Er dachte an Helene Schwarz. Auch sie zählte zu den älteren Menschen. Und diese hier auf der Treppe gehörten ebenfalls nicht zu den Jüngsten. So lag der Gedanke nahe, dass es sich hier um einen »Clan der Alten« handelte, die im Ort das Sagen hatten und nicht wollten, dass gewisse Dinge ans Tageslicht kamen. Darüber breitete man besser den Mantel des Schweigens aus.
Bisher hatte das funktioniert, aber nun war Schluss. Fremde Menschen waren erschienen und hatten nachgeforscht.
Genau das konnte die andere Seite auf keinen Fall hinnehmen.
Stahl überlegte, wie er sich verhalten sollte und ob es Sinn machte, mit ihnen zu reden. Als weitere Alternative gab es dann nur mehr die Gewalt. Aber davor schreckte er zurück.
Vor ihm stand ein Mann. Groß und knochig wirkte er. Bekleidet war er mit einem alten Anzug, dessen Stoff an verschiedenen Stellen bleiche Flecken aufwies.
Harry sprach ihn an. »Lassen Sie mich bitte durch!«
Der Mann erwiderte zunächst nichts. Dann schüttelte er den Kopf und machte klar, dass er daran gar nicht dachte.
»Warum nicht? Was habe ich Ihnen getan?«
»Sie müssen bleiben!«
»Und was ist der Grund?«
»Andere bestimmen das, nicht wir. Wir sind nur die Erben, die Nachfolger.«
»Von wem?«
»Nichts werde ich sagen. Sie hätten nicht herkommen dürfen. Es gibt nicht mehr viele von uns, die Bescheid wissen. Die meisten liegen schon auf dem Friedhof. Aber was damals geschehen ist, das muss unter uns bleiben. Es darf nichts nach draußen dringen. Wir werden unser Geheimnis für uns behalten.«
»Haben die vier Verschwundenen damit zu tun?« Harry dachte nicht daran, sich den Mund verbieten zu lassen. »Sagen Sie es. Geht es nur um die Verschwundenen oder auch um Menschen aus der heutigen Zeit. Ich würde es gern erfahren.«
»Sie erfahren nichts. Es ist einzig und allein unsere Sache. Sie bleiben hier unten.«
»Und dann?«
»Kommt es darauf an, wie sich die Dinge entwickeln. Es kann sein, dass wir Sie laufen lassen, aber auch eine andere Alternative ist möglich. Dass Sie hier unten bleiben, wo Sie niemand findet. Oder wo
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