141 - Dämonenbilder sieht man nicht
zwei sich windenden Schlangenleibern bestehenden Beine.
Kaum berührte die Gemme die Scheibe, wurden außen fahl fluoreszierende Flecken sichtbar. Für Burian ein deutliches Zeichen, daß etwas versucht hatte, in sein Zimmer einzudringen. Aber offenbar war die Gefahr inzwischen vorüber; die aufgemalten Dämonenbanner hatten ihre Pflicht getan und sich dabei nahezu selbst ausgelöscht. Was nicht zuletzt auf einen starken Gegner hindeutete. Burian erneuerte die Zeichen, bevor er das Fenster gänzlich öffnete, mit seinem Taschenmesser die verkrustete Masse vom Fensterblech abkratzte und Teile davon auf ein Blatt Papier streifte. Der Rauchgeruch wurde zunehmend intensiver, zugleich schmeckte es wie nach verbranntem Fleisch. Auf der Resopalplatte des Kühlschranks malte Burian einen magischen Kreis, bevor er die Asche vorsichtig vom Papier schüttelte. Als nichts geschah, veränderte er einige der seitlich angebrachten Schriftzeichen. Die Asche geriet daraufhin in Bewegung, versuchte offenbar, sich dem weißmagischen Einfluß zu entziehen. Schließlich bildete sie ein wirres, zufällig entstandenes Muster, das eindeutig den Verlauf der schwächsten Kraftlinien widerspiegelte.
Burian Wagner nickte grimmig. Vielleicht gelang es ihm, die Identität des Angreifers herauszufinden. Immer neue Zeichen malte er auf die Platte, und immer rascher veränderte die Asche ihre Form.
„Jetzt habe ich dich", triumphierte Burian, die Abraxas-Gemme unmittelbar über dem Kühlschrank pendeln lassend.
Ein B formte sich aus der Asche, dann ein R, ein I … Die einzelnen Muster folgten so rasch aufeinander, daß er sie kaum richtig erfassen konnte. Aber schon im nächsten Moment glühte die schwarze Masse plötzlich auf, verpuffte unter gleichmäßiger Rauchentwicklung und hinterließ eine ausgeschmolzene Vertiefung in der Platte.
Seufzend machte Burian sich daran, den Kühlschrank zu säubern. Dabei fragte er sich, wie er der Wirtin den entstandenen Schaden erklären sollte.
Der Gestank war so schlimm, daß er erneut das Fenster kippen mußte. Nur wenige Sterne zeigten sich noch am nächtlichen Himmel, aber in der Ferne zeichnete sich verschwommen die alpenländische Kulisse ab.
Burian konnte nicht mehr schlafen. Lang ausgestreckt, die Arme hinter dem Kopf verschränkt, lag er auf dem Bett und starrte zum Fenster. Er wartete darauf, daß der unbekannte Angreifer erneut erschien.
„Castillo Basajaun", murmelte der zur Fülle neigende Schalterbeamte und blätterte in seinem Tarifverzeichnis. „Das klingt spanisch."
„Ist es auch", nickte der Mann auf der anderen Seite des verglasten Postschalters. „Den Text habe ich aufgeschrieben. Ich will nur, daß Sie mir sagen, was ich für das Telegramm zu bezahlen habe. Alles andere können Sie auch ohne mich erledigen."
„Natürlich", murmelte der Beamte phlegmatisch. Trotzdem griff er nach dem handgeschriebenen Zettel und überflog ihn erst.
„Mein Beileid", nickte er dann. „Ihre Tochter?"
„Meine Nichte."
„Sie ist jung gestorben?"
„Ja."
Es war offensichtlich, daß der Mann kein Gespräch wollte. Doch darauf achtete der Beamte nicht. „Das Schicksal kann mitunter grausam sein", stellte er fest. „Anfangs glaubt man noch, keinen Trost zu finden, doch später…"
„Wieviel?" unterbrach ihn der Mann, der allmählich ärgerlich wurde. „Ich habe noch etliche Formalitäten zu erledigen, für die meine Schwägerin nicht in der Lage ist."
Fünf Minuten später verließ er das Postamt und ließ einen kopfschüttelnden Beamten zurück, der sich über die Hektik wunderte, die manche Leute selbst angesichts des Todes an den Tag legten. Dabei sollte zumindest der Verlust eines geliebten Menschen Gelegenheit sein, in sich zu gehen und für kurze Zeit Ruhe zu finden.
Seufzend machte der Postbeamte sich daran, den Text des Telegramms auf ein Formular zu übertragen. So früh am Morgen, das war er gewohnt, gab es wenig Kundenverkehr.
„Burian Wagner, Castillo Basajaun, Andorra", las er halblaut vor sich hin. „Cousine Elsbeth verstorben… stop… Beisetzung frühestens übermorgen nach Freigabe… stop…" Ein Geräusch ließ ihn aufmerken. Zuerst glaubte er, jemand habe den Schalterraum betreten, doch das war nicht der Fall.
Als er sich erneut daranmachte, das Telegramm weiterzuleiten, wiederholte sich das Geräusch, ein Rascheln wie von dünnem Pergament. Es kam von irgendwoher hinter ihm.
Der Beamte ließ sich mitsamt seinem Stuhl herumschwingen - und erstarrte. Alles
Weitere Kostenlose Bücher