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Mali, wo wir einen Delegierten des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz IKRK mit einer schweren Rückenverletzung hätten übernehmen sollen. Der Patient war nicht da. Ein Propellerflugzeug hätte ihn von Kidal – 500 Kilometer weiter nördlich – nach Gao bringen müssen. Ein Sandsturm in Kidal verunmöglichte den Transport. Wir wiederum hatten kein Telefon am Flughafen, nur Funk, konnten also weder den Rega-Piloten in Niamey noch die Einsatzzentrale in Zürich informieren. Im Prinzip entscheidet die Einsatzzentrale, doch oft lässt sie die Crew vor Ort entscheiden. Wir versuchten ein paar Stunden später, nach Kidal zu fliegen, und nahmen noch einen Führer mit, einen Belgier, der dort für eine Firma arbeitete, oft Erkundungsflüge machte, also die Gegend gut kannte. Ich hatte damals immer einen Feldstecher dabei und entdeckte so etwas wie einen Flugplatz. Wir landeten tatsächlich in Kidal, Standort eines berüchtigten Gefängnisses für politische Gefangene. Diese liefen frei herum. Flucht war sinnlos, sie wären in der Wüste umgekommen. Wir fanden den Patienten und flogen ihn nach Gao. Heute würden wir so etwas nicht mehr wagen.»
Oder der Langzeiteinsatz in Indien, wo ein Patient nach einer Operation der Gallenblase auf eine Repatriierung im Linienflugzeug wartete: 54 Stunden dauerte allein die Hinreise nach Tiruchirapalli. Streiks, Verspätungen, Annullierungen, technische Probleme am Flugzeug und eine Notlandung. Dann neun Stunden Zugfahrt durch Südindien. Nach elf Stunden Aufenthalt begann am Silvesterabend 1992 die 56-Stunden-Rückreise im Couchette-Abteil eines indischen Zuges…
«Es ist so, dank trauriger Ereignisse anderer habe ich ein interessantes Leben. Jedes Unglück ist eine Art Tsunami. Vor vier Jahren kehrte ich nach Mali zurück, weil ich die Gegend um Kidal und Gao nochmals sehen wollte. Ich traf dort eine Einheimische und erzählte ihr die Geschichte des Abenteuers von 1986 mit dem belgischen Führer. Es war ihr Mann gewesen.»
Anne-Lise Stuby, 1956 geboren, in Vevey (VD) aufgewachsen. Vier Jahre Handelsschule. Pflegefachschule in «La Source», Lausanne, Urologie und Intensivpflege-Ausbildung in Genf. Seit 1985 bei Swiss Air-Ambulance Rega, Stellvertreterin des Pflegedienstleiters.
Der Militärpilot als PR-Allrounder
Walter Stünzi, Kommunikationschef 1987–2009
Walter Stünzi verdichtet am liebsten
komplexe Sachverhalte
«Als ob wir wilde Skifahrer wären!» Zweimal benötigte Gattin Adeline den Rettungsheli, einmal Walter Stünzi. «Ich stürzte auf den Kopf, erwachte abends im Spital von Visp, ohne Ahnung, was passiert war.» Air Zermatt hatte ihn von der Piste geholt und gute Arbeit geleistet.
Womit wir bei den heikelsten Aufgaben des ehemaligen Kommunikationschefs sind, den Beziehungen zu den Walliser Luftrettern Air Zermatt und Air-Glaciers. Ein Beispiel: Die Rega wird zu einem Lawineneinsatz im Grenzgebiet zum Wallis gerufen, kommt aber bei schlechter Sicht nicht hin, weil es schneit. Zum Vorwurf des Walliser Basisleiters: «Hätte man uns gefragt, wir wären geflogen», muss Stünzi in der Sendung «10vor10» Stellung nehmen. «Logisch wäre der Schluss: Kann die Rega nicht, können die andern auch nicht. Es gibt in der Luftrettung keine Drückeberger.»
Es passieren kuriose Grenzfälle. «Einer verunfallt am Dammastock und alarmiert die Rega-Einsatzzentrale. Diese muss ihn fragen, ob er auf der Süd- oder Nordseite des Grates liege. Je nachdem rücken die Urner Rega-Retter aus oder eben die Walliser…» Bei der Gründung der Air Zermatt gab die Rega 1968 ihre Unterstützung. «Der langjährige Leiter Beat H. Perren hat dann Pionierarbeit geleistet. Nicht einfach ist die Situation im bernischen Lauterbrunnen, wo Air-Glaciers einen Stützpunkt unterhält. Die Gemeinde ist in Sachen Luftrettung eine Walliser Enklave. Die Eigernordwand hingegen «gehört» wieder der Rega…»
Die Rega spezialisierte sich, die Walliser diversifizierten: Materialtransporte, Heliskiing, Taxiflüge, Reben spritzen, Rettungen. Das brauche es in diesen Tälern, der Heli sei hier der moderne Lastesel. Die Kombination könne aber auch problematisch sein. So seien alte, einmotorige Maschinen der Air-Glaciers zwar rentabel im Lastenflug, aus der Sicht der medizinischen Versorgung im Rettungsdienst aber nicht mehr zeitgemäss.
«Helifliegen ist attraktiv – und deshalb ist die Branche in der Schweiz umkämpft.» In der Szene tummeln sich Leute, die ihr Hobby zum Beruf machen wollen. Die
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