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Das war innovativ und fortschrittlich. Hätte man uns damals von einem zigarettenschachtelgrossen Gerät erzählt, mit dem Verschüttete in dreissig Sekunden gefunden werden können, hätten wir gefragt: «Braucht es das?» Kurz: Wir müssen technisch mithalten.
Also nicht der pure Ehrgeiz, das Neueste zu haben?
Wir wollen mehr Sicherheit für Besatzung und Patienten. Oft bringen wir Verletzte sozusagen «auf dem letzten Zacken» ins Spital. Sie kennen dieses typische Winterwetter: oben blau, unten grau. Dann sind alle auf der Piste. Muss die Rega bei dieser Wetterlage jemanden mit schwerer Kopfverletzung holen, fliegt sie zuhinterst in ein Tal, wo der Nebel ansteht, sinkt zwischen Baumwipfeln und Hochspannungsleitungen unter die Nebeldecke, um tief über den Dächern in ein Spital zu fliegen. Das wäre nicht mehr notwendig. Ist es denn falscher Ehrgeiz, diese Verbesserung zu wollen? Aber zugegeben, das Ganze ist unheimlich teuer – und wird sich rein ökonomisch gesehen auch nie rechnen.
Das Verhältnis zwischen Luftrettern und Bodentruppen war manchmal gespannt. Wie ist es heute?
Die Rega ist auf terrestrische Rettung angewiesen und schätzt die Bodentruppen. Der Heli kann ja nicht immer fliegen. Wir arbeiten sehr gut mit Polizei und Feuerwehr, Ambulanzen und Pisten-Patrouilleuren zusammen. Die meisten unserer Einsätze werden von den Sanitätsnotrufzentralen 144 veranlasst, das sind herausragende Partner. Gemeinsam mit dem SAC haben wir 2005 die Stiftung Alpine Rettung Schweiz gegründet und finanzieren diese massgeblich. Es gibt keine Differenzen mehr über den Einsatz des Rettungshelikopters im Gebirge.
Wachsen mit den Möglichkeiten auch die Ansprüche? Stimmt es, dass bei jedem Bobo die Rega verlangt wird, dass sich kaum mehr jemand auf den Rettungsschlitten legt?
Nein, das sind höchstens Einzelfälle. Die Pisten-Patrouilleure lassen nur fliegen, was man fliegen muss. Stellt sich heraus, dass der Patient auf dem Schlitten transportiert werden kann, wird das gemacht. Aber ich setze mich dafür ein, dass Patienten, die geflogen werden müssen, auch geflogen werden. Es gibt Fälle, da werden Verletzte auf Teufel komm raus terrestrisch transportiert – nach dem Motto «Der Rega zeigen wirs, das können wir auch». Doch ein möglichst schonender Transport ist oft wichtig für den guten Verlauf der Heilung. Patienten sollen einfach die beste Behandlung bekommen.
Es kommt immer wieder vor, dass Verunfallte auf dem Flug ins Spital sterben. Wäre ihnen und den Angehörigen nicht besser gedient, man würde sie in Ruhe sterben lassen?
Und wer entscheidet das? Wir fliegen jährlich 10 000 Helikopter-Einsätze. Wenige Patienten sterben während des Flugs, wie viele, weiss ich nicht genau. Aber ich weiss, dass die Mitarbeitenden der Rega die ethisch-moralische Verantwortung einem Sterbenden gegenüber wahrnehmen.
Schauen Sie mal, welch ein Riesenaufwand bei einem Verkehrsunfall betrieben wird: Strassensperren, Ambulanzwagen, die Rega, die Polizei, der Chef der Polizei, Untersuchungsrichter, Spurensicherung, Journalisten, Fotografen. Da frage ich mich, von welcher Würde da die Rede ist. Ich habe als Bergretter zahlreiche Todesfälle erlebt. Das Sterben gehört zu dieser Arbeit.
Muss bei jedem Einsatz ein Arzt dabei sein?
Ja, bei uns schon. Wir überlegten auch einmal, bei idealen Verhältnissen auf den Arzt zu verzichten. Doch exakt deswegen ruft man uns, weil wir für alle Eventualitäten gerüstet sind – und der Rettungsdienst die Verantwortung der Rega übergeben kann. Zur Sicherung dieser hohen Qualität zahlen die Gönner ihren Beitrag. Wir machen alles, was sinnvoll ist. Wir haben sogar in Samedan nachts einen Heli auf Pikett, auch wenn er im Jahr nur fünfzigmal gebraucht wird. Man könnte den Heli von Untervaz aufbieten. Aber vielleicht entscheidet unsere Bereitschaft in ein paar Fällen über Leben und Tod.
Wir bräuchten wohl auch nicht drei grosse Ambulanzjets für unsere Gönner. Aber bei einem Ereignis wie dem Anschlag in Marrakesch im April 2011 waren wir in zwei Stunden in der Luft und konnten zwei schwer verletzte Schweizerinnen nach Hause bringen.
Wie löst die Rega bei langen Jet-Flügen das Problem der Übermüdung?
Je länger und je dringlicher der Einsatz, desto mehr Leute gehen mit, um sich abzulösen. Die Übermüdung ist ernst zu nehmen. Wir untersuchen das Problem zusammen mit ausländischen Wissenschaftlern und arbeiten im Moment an einer wegweisenden Studie zum sogenannten
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