Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
1417 - Der Würgeengel

1417 - Der Würgeengel

Titel: 1417 - Der Würgeengel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
Vom Netzwerk:
mein Freund. Es wird alles so ablaufen wie besprochen.« Sie schaute noch intensiver hin. »Weißt du, was ich meine? Kannst du dich noch erinnern?«
    Waldo Spencer sagte nichts. Er schaute nur in das Gesicht der Heimleiterin.
    »Kannst du dich nicht erinnern?«
    »Ich…«, flüsterte er. »Kann ich was trinken?«
    »Gern.«
    Auf dem schmalen Nachttisch stand die Flasche mit dem stillen Wasser. Die Cerny füllte einen Pappbecher damit zur Hälfte. Dann half sie dem Mann dabei, das Wasser in kleinen Schlucken zu trinken. Sie hob seinen Kopf dabei an, indem sie ihre Hand gegen den Nacken legte. Unter der dünnen Haut spürte sie die Knochen, aber sie gab keinen Kommentar mehr ab.
    Waldo hatte unter dem Durst beinahe schon gelitten. Er leerte den Becher bis zum letzten Tropfen. Am Funkeln seiner Augen war abzulesen, wie sehr er sich über diese Erfrischung freute.
    »Das ist gut, Waldo.« Sie ließ den Kopf wieder los, der auf das Kissen sank.
    Spencer sagte nichts. Er bewegte nur die feuchten Lippen.
    »Du weißt, weshalb ich bei dir bin und wie es weitergeht? Was wir besprochen haben?«
    »Ich glaube.«
    »Nein«, korrigierte die Heimleiterin, »du weißt es genau. Aber ich werde dich trotzdem noch mal daran erinnern. Wir haben lange über den Engel gesprochen, der erscheinen und dich besuchen wird. Du bist von Beginn an nie dagegen gewesen, und nun ist es soweit. Ich habe mit dem Engel sprechen können und ihn gebeten, zu erscheinen. Und er hat mich erhört, Waldo. Er ist da.«
    In den Augen des Mannes erschien so etwas wie Leben. »Ja, ich erinnere mich.«
    »Das ist schön. Der Engel wird dich führen. Er wird dich begleiten in die andere Welt. Dein langes Leben liegt jetzt hinter dir. Über neunzig Jahre hat es gedauert. Einmal ist alles zu Ende, und das ist auch bei dir der Fall.«
    Spencer gab keine Antwort. Ihm war nur anzusehen, dass er über die Worte nachdachte.
    »Freust du dich?«
    »Ich weiß es nicht.«
    Sie hatte Mühe, die geflüsterte Antwort zu verstehen. Dann sagte sie: »Der Engel wird erscheinen. Er wird sein Versprechen halten und dich mitnehmen. Ich freue mich für dich, denn so wirst du keinerlei Schmerzen erleiden. Es wird alles so passieren, wie wir es besprochen haben. Ich spüre ihn bereits. Du auch?«
    »N-nein.«
    Die Cerny hob den rechten Zeigefinger. »Gib Acht, er ist wirklich nicht mehr weit.«
    Es wurde still zwischen ihnen. In den folgenden Sekunden war nichts zu hören, aber die Frau drehte den Kopf nach rechts, um einen Blick auf die Tür zu werfen.
    Dort tat sich etwas. Zwar wurde die Tür nicht aufgeschoben, aber in ihrer Nähe gab es trotzdem eine Bewegung, und dann huschte etwas in das Zimmer, das auch einen kühlen Hauch verbreitete.
    Die Cerny stand auf. Sie wollte den Blick nach vorn nicht behindern, und so hatte der Greis freie Sicht. Er sah, dass sich jemand in den Raum hineingeschoben hatte. Auch ein gesunder Mensch hätte Probleme gehabt, diese Gestalt zu beschreiben.
    Sie kam nicht als Mensch. Sie kam als eine feinstoffliche Gestalt, zum großen Teil noch durchsichtig. Es war auch nicht zu erkennen, ob es sich dabei um einen Mann oder eine Frau handelte. Das Wesen schien neutral zu sein.
    Gesprochen wurde nichts mehr. Der Greis im Bett kannte nur eine Blickrichtung. Der Mund war ebenso geöffnet wie die Augen. Ob sein Denken noch funktionierte, fand die Cerny nicht heraus, obwohl sie ihn genau beobachtete. Wusste er, was da auf ihn zukam?
    Es war nicht herauszufinden. Spencer reagierte nicht. Er hatte auch nicht mehr die Kraft, sich in die Höhe zu drücken. Er lag da, schaute und staunte.
    Die Kühle breitete sich aus. Sie wehte praktisch vor der Gestalt her und erreichte zuerst das Bett. Zugleich schwebte die Gestalt über den Liegenden hinweg.
    »Dein Engel ist da!«, meldete die Frau.
    Waldo Spencer zeigte keine Reaktion. Für ihn war die Frau nicht mehr vorhanden. Es gab nur den seltsamen Engel, der über ihm schwebte und auf ihn herabschaute.
    Wäre er in der Lage gewesen, ihn zu beschreiben, dann hätte er unter Umständen von einer dünnen gläsernen Gestalt gesprochen.
    Aber das traf nicht zu. Sie ließ sich nicht anfassen. Da gab es keine Knochen, keine Haut, kein Fleisch.
    Aber es gab den Engel, und er strömte etwas aus, das der Greis sehr genau fühlte.
    Angst!
    Er konnte nicht mehr weg. Wahrscheinlich wäre er dann aufgestanden und geflohen. So aber musste er in seinem Bett auf dem Rücken liegen bleiben und in die Höhe schauen. Obwohl er schon so lange

Weitere Kostenlose Bücher