1419 - Mandragoros Mörderfee
du sie sehen. Sie hängen da und lauern. Sie sind wie Arme, die darauf warten, würgen zu können. Perfekter geht es nicht mehr, verstehst du?«
»Ja, ich verstehe, Mandragoro. Aber ich kann dich nicht begreifen. Für mich hat sich nichts geändert. Und ich habe mich nicht verändert. Ich denke, das weißt du.«
»Das ist mir klar, John. Wir beide existieren auf dieser Welt. Wir beide kämpfen für eine gerechte Sache, wenn auch aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Du musst zugeben, dass ich mächtiger bin. Ich hätte dich schon einige Male töten können, doch ich habe es gelassen, weil ich weiß, dass wir uns letzten Endes gleichen…«
Mein scharfes Lachen unterbrach ihn. Ich war kein Heiliger, nur ein normaler Mensch. Doch mit seinen Taten wollte ich mich nicht abfinden. Das sah ich anders, und das würde auch so bleiben. Ich kämpfte gegen einen mächtigen Feind, der nicht genau zu definieren war. Allgemein betrachtet, konnte er als das Böse bezeichnet werden. Aber auch da gab es Unterschiede, und Mandragoro gehörte dazu. Er zog sein eigenes Spiel durch. Er wollte etwas retten, und das war auch bei mir der Fall. Nur lagen die Dinge bei uns unterschiedlich, denn ich hielt mich dabei an die allgemeinen Gesetze, und das war bei Mandragoro nicht der Fall. Er hatte sich eigene geschaffen.
Ich kam über die Toten nicht hinweg. Sein Geständnis hatte mich geschockt, und als ich meinen Arm ausstreckte, da sah ich, dass meine rechte Hand zitterte.
»Aber du hast sie getötet«, sagte ich mit leiser Stimme. »All die Menschen, denen das gehört, was dort als schreckliches Souvenir an diesem Baum hängt. Und deshalb…«
Seine Stimme, die noch immer aus der Dichte des Waldes kam, unterbrach mich. »Du irrst dich, mein Freund. Ich habe sie nicht allein getötet. Jemand stand und steht mir zur Seite.«
»Cora Shannon«, sagte ich.
»Das stimmt. Cora ist meine Fee. Meine Wächterin. Die Frau, die den Wald bewacht. Sie hat sich die Umweltsünder geholt. Sie hat sie hergelockt. Sie hat mit ihnen gespielt. Auch sie will nicht, dass die Welt allmählich zugrunde geht. So haben sich hier zwei gefunden, die das gleiche Ziel verfolgen.«
»Sie ist eine Mörderin.«
»So denkst du, John Sinclair. Ich aber sehe es anders. Ich würde dir raten, in ihr nicht die Feindin zu sehen. Ich kenne deinen Weg. Ich weiß, wie du denkst. Aber hüte dich davor…«
»Du weißt genau, dass ich das nicht kann. Cora Shannon ist eine Mörderin und…«
»Nein, sie hat nicht getötet.«
»Irrtum. Ich habe es selbst erlebt. Ein Pfeil traf einen Menschen, der nichts Böses im Sinn hatte. Er wurde ihm in den Hals geschossen. Man ließ ihm nicht die geringste Chance. Wir waren dabei, als der Mann starb. Deshalb ist sie für uns eine Mörderin.«
Es raschelte in meiner Nähe. Wind war nicht aufgekommen. Mit einem unguten Gefühl schaute ich in die Höhe, weil ich mich wieder daran erinnerte, was Ken Bullock unter diesem Baum erlebt hatte.
Blätter waren herabgefallen und hatten ihn gewürgt.
Ich stand unter dem Todesbaum und hörte das geheimnisvolle Rascheln, das auf meinem Körper eine Gänsehaut hinterließ. In mir nahm die Spannung zu. Ich spürte, dass mein Hals trocken wurde.
Es war jetzt schwer, noch etwas zu sagen und auch neutral zu bleiben. Es gab niemanden mehr in meiner Nähe, der mir hätte helfen können, denn von meinem Freund Suko hörte ich nichts.
Hinter mir war alles gleich geblieben. Ich hörte die Geräusche des Wildbachs. Sie waren Teil der Natur, doch auf mich hatten sie keine beruhigende Wirkung.
Über den Boden tanzten Schatten. Sie hatten ihre Ursache in der Höhe. Dort bewegten sich die langen Blätter dieses ungewöhnlichen Baumes.
War es so etwas wie eine Warnung?
Mandragoro meldete sich wieder. Aus dem leichten Rascheln hervor erklang seine Stimme.
»Geh, John Sinclair. Überlasse mir das Feld. Einer muss hier seine Zeichen setzen.«
»Nein, das werde ich nicht. Und du weißt es genau, verdammt noch mal. Ich kann dir das Feld nicht überlassen.«
»Dann kann ich nichts mehr für dich tun.«
Das hörte sich nicht gut an. Es gab zudem keinen Grund für mich, Mandragoro nicht zu glauben, und ich zerbrach mir den Kopf darüber, was ich überhaupt unternehmen konnte.
Wie stark war ich? Oder wie schwach?
Es gab keine Antwort darauf. Ich konnte auch nichts testen. Die Dinge liefen für mich aus dem Ruder, und noch während ich nachdachte, wiederholte sich das Rascheln über mir.
Diesmal allerdings hörte es
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