142 - Der Bluttempel
kletterte die Frau auf ihren Herren. Ihr Blick war starr, als stünde sie unter Drogen. Sie hielt einen Trinkschlauch dort hin, wo sich ein schwarz umrandetes Loch im Gesicht befand. Der Mund.
Sie füllte Pjotr ab und wischte danach mit oft geübter Vorsicht die rot glänzende Flüssigkeit von den Rändern der Öffnung.
Pjotr der Vierte lachte hässlich. »Gut gemacht, mein schnelles Vögelchen. In einer Stunde bist du wieder hier.«
Langsam kroch die Sklavin vom Obersten herab.
»Komm näher heran, Sohn der Finsternis«, blubberte das Monstrum. »Ich spüre Widerwillen und Abscheu in dir. Zwei mir wohl bekannte Gefühle. Versuchst du etwa, deinen Geist zu schützen? Willst du dich ablenken mit Gedanken an das entsetzlich magere Weib, das am Eingang des Bluttempels auf dich wartet? Oder an den Wunsch, den Erzvater dir mit gehörigem Nachdruck ans Herz gelegt hat? Gib dir keine Mühe – du bist für mich wie ein offenes Buch.«
Matt konnte richtiggehend spüren, wie der Fette in seinem Kopf wütete, in den Windungen seiner Überlegungen umher kroch – und winzigsten elektrischen Impulsen, die seinen Intellekt ausmachten, blitzschnell hinterher reiste. Er musste ein unglaublich starker Telepath sein.
»Ja, so ist es, Sohn der Finsternis«, bestätigte Pjotr kichernd.
»Nichts bleibt mir verborgen. Und wenn mir ein Gedanke, den dein hässliches Hirn ausbrütet, nicht gefällt, dann entferne ich ihn einfach. Ich kann dich dazu bringen, wie ein Kamauler zu grunzen. Willst du das? Ich glaube, dass du es willst…«
Matt öffnete den Mund ohne sein Dazutun, räusperte sich – und quiekte. Laut, lauter, sodass es in der ganzen riesigen Höhle hörbar sein musste. Die Wirklichkeit versank um ihn her, sodass er sie nicht mehr fassen konnte.
»Du bist langweilig«, durchbrach die Stimme Pjotrs seine fortschreitende Verwirrung. Matt fand sich am Rücken liegend in der Realität wieder, den Driller gegen seine Schläfe gerichtet.
»Dein Geist ist der eines Soldaten. Diszipliniert, realitätsnah und – zugegebenermaßen – vollgestopft mit großen Ideen. Und genau diese drei Eigenschaften sind deine Hindernisse. Sie zwingen dich, ein Leben zu führen, mit dem du keineswegs zufrieden sein kannst. Denn du bist auf der Suche und wirst es immer sein.«
»Danke für diese psychoanalytische Beratung«, krächzte Matt, während er mit aller geistigen Kraft, die er noch besaß, gegen den Zeigefinger seiner Rechten ankämpfte, der sich unendlich langsam um den Abzug seiner Waffe krümmte.
»Dennoch finde ich dich immens öde«, fuhr der Fette fort.
»Menschen wie dich gibt es zur Genüge. Ihr seid verblendetes Geschmeiß, das meint, die Geschicke anderer lenken zu können, indem es vorneweg marschiert, ein gutes Beispiel abgibt. Auch Erzvater ist von ähnlichem Ehrgeiz getrieben. Er will das Volk der Nosfera weg vom Licht bringen, indem er es stark macht. Den barbarischen Menschen ebenbürtig oder überlegen. Sein Weg führt über Macht und Einfluss. Was für ein verblendeter Kretin er doch ist!« Übergangslos brüllte der Oberste der Noskopzen auf. »Merkt ihr nicht, dass ich Hunger habe?! Bringt mir die Schlangen, bringt sie sofort!«
»Und was… willst du?« Nichts anders existierte mehr für Matt als die Stimme dieses widerlichen Fettkloßes – und sein Zeigefinger, über dessen willentliche Steuerung er endgültig die Kontrolle zu verlieren drohte.
»Jene Jünger, die ich um mich versammelt habe, dienen einzig und allein dem Glauben an die innere Einsicht«, leierte Pjotr mit entrückter Stimme. »Nur der Schmerz gebiert unendliche Glückseligkeit. Wer sich in sein eigenes Sein zurückzieht und jeden Nerv mit Schmerz überlastet, wird die ultimate Freude erfahren. Alle Tränen müssen geweint, jede Belastung ertragen sein. Erst dann, wenn dein Verstand leer ist, frei von jeglicher Verzweiflung, frei von allem, was dein Gemüt belasten könnte, verspürst du die wahre Genugtuung. Und du beginnst zu begreifen, warum du existierst.«
»Das ist… Wahnsinn, wie ich ihn noch nie gehört habe.«
Mein Finger, mein Finger, mein Finger…
»Ich sagte doch, dass du belanglos bist, Matthew Drax aus der Vergangenheit. Das Schicksal hat dich emporgehoben, auserwählt aus der Masse einer Herde verbohrter Dummköpfe, und dir die Chance gegeben, etwas wirklich Bedeutungsvolles aus deiner erbärmlichen Existenz zu machen. Du hast deine Möglichkeiten auf die denkbar schlechteste Art und Weise genutzt, indem du gegen das
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