1422 - Mörderischer Muttertag
»Ich glaube mittlerweile daran, dass wir nur das sehen, was man uns zu sehen gibt, und vieles hinter dem Sichtbaren versteckt liegt. Vielleicht hätten wir uns auch mit dem Teufel beschäftigen sollen, Elton, aber wer tut schon so etwas?«
»Klar, wer tut das schon.«
»Wann willst du es abwischen?«
»Kann ich dir noch nicht sagen.« Tina ging vom Waschbecken weg. »Ich habe mir auch noch keine Gedanken darübergemacht, aber die Angst bleibt, und ich denke auch, dass sie sich noch steigern wird.«
»Was willst du dagegen tun? Falls es überhaupt ein Mittel gibt.«
»Ich werde nicht zu mir zurückfahren. Wenn du nichts dagegen hast, Elton, möchte ich bei dir übernachten.«
»Genau den Vorschlag habe ich dir gerade machen wollen.«
»Danke, dann geht es mir schon besser.«
»Dann lass uns noch ein wenig zusammensitzen, bis es dunkel wird. Das Wetter lädt dazu ein.«
»Gern. Aber was ist mit Sammy?«
»Was soll mit ihm sein?«
»Ob er in der Nacht mit seiner Angst allein ist?«
»Das weiß ich nicht. Wir können ihn später mal anrufen, wenn er seinen Termin hinter sich hat.«
»Das ist eine gute Idee, Elton…«
***
»Sie können also innerhalb von vier Wochen die Skulptur fertig haben, Mr. Baker?«
Sammy, der seine Kaffeetasse abgestellt hatte, nickte. »Ja, das kann ich.«
»Sehr gut.« Der Mann mit dem dunklen Oberlippenbart lächelte.
»Wenn Sie wollen, können wir das sogar vertraglich festlegen.«
»Nein, nein.« Der Mann lachte. »Das auf keinen Fall. Ich vertraue Ihnen. Außerdem arbeiten wir nicht das erste Mal zusammen, Mr. Baker. Bisher hat immer alles gut geklappt.«
»Das denke ich auch.«
Richard Dayton, der Sam Baker gegenübersaß, war Vertreter eines Konzerns, zu der auch eine Versicherung gehörte. Für ihr neu gestaltetes Gebäude sollte im Bereich des Eingangs ein Kunstwerk geschaffen werden, das zwar auffiel, aber nicht zu auffällig war, dass es konservative Kunden erschreckte.
Für so etwas war Sammy Baker genau der richtige Mann, und er brachte zudem genügend Kreativität mit, um sich etwas Besonderes einfallen zu lassen, das vielen Menschen gefiel. Das Werk sollte nicht zu konservativ sein, aber auch nicht zu modern. Man konnte von einer goldenen Mitte sprechen, über die die beiden Männer im Foyer des Hotels schon geredet hatten.
»Eine Idee ist Ihnen zufällig noch nicht gekommen?«, erkundigte sich der Mann.
»Nein.« Sam schüttelte den Kopf. »Sie brauchen sich trotzdem keine Sorgen zu machen. Ich werde noch in der kommenden Nacht mit meinen Überlegungen beginnen.«
»Das hört man gern, Mr. Baker. Obwohl ich Ihnen den Schlaf auch gönne.«
»Ich kann ihn noch oft genug nachholen.«
»Ein guter Entschluss. Sobald sie eine Idee haben, lassen Sie bitte etwas von sich hören. Entweder per E-Mail oder Telefon.«
»Ich rede lieber.«
»Ist auch besser so.«
Die beiden Männer standen auf und reichten sich die Hände. Gezahlt hatte Dayton bereits, und so verließ er das Hotel, in dem Sam Baker noch für eine Weile sitzen blieb.
Er gönnte sich einen weiteren Kaffee und hatte eigentlich vorgehabt, sich über den neuen Auftrag Gedanken zu machen, aber das wollte nicht so recht klappen, weil er immer wieder an die Schrift auf seinem Spiegel denken musste und auch an das Treffen mit seinen Geschwistern.
Alle hatten sie die gleiche Drohung erhalten. Für ihn war das nichts anderes als eine Drohung, und er glaubte nicht, dass Tina und Elton es anders sahen. Er horchte auch in sich hinein, um zu erfahren, ob er Angst vor der folgenden Nacht haben musste, doch noch war er zu aufgewühlt, um da eine Antwort zu erhalten.
Wenn er intensiv darüber nachdachte, gelangte er zu dem Schluss, dass sein Leben auf den Kopf gestellt worden war. Es kam auch alles auf einmal. Seine Sicherheit hatte er verloren. Vor gut vier Wochen war Dennis, sein Partner, bei ihm ausgezogen. Er hatte gesagt, dass er einfach mal durchatmen müsse, und war gegangen.
Das hatte Sam zwar mitgenommen, aber er hatte keine Angst verspürt, nur Wut und Trauer.
Das war jetzt anders. Er fühlte sich bedroht. Die Vergangenheit war auf einmal wieder da.
Muttertag!
Man würde mit ihnen einen besonderen Muttertag feiern, der allerdings nicht von den Kindern organisiert wurde, sondern von der Mutter selbst.
»Und sie ist doch tot!«, flüsterte Sam Baker vor sich hin, während er durch die Halle ging. »Sie muss einfach tot sein. Sie ist doch verbrannt, verdammt! Wir haben es selbst gesehen. Da versucht
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