1422 - Mörderischer Muttertag
fahren.«
Beide gingen zu Eltons Wagen. Und beide fürchteten sich davor, plötzlich angegriffen zu werden.
Das passierte zum Glück nicht. Tamina Baker ließ sich Zeit, denn der Mutertag war noch lang…
Sie waren nicht schnell gefahren, aber sie erreichten ihr Ziel ohne Umwege.
Sam lebte in einer kleinen Siedlung, die aus Bungalows bestand.
Die hatte man zu der damaligen Zeit noch bauen können, da waren die Grundstückspreise noch erträglich. Jetzt konnte kaum ein Mensch eine derartige Fläche bezahlen, und so baute man mehr in die Höhe.
Einen Parkplatz fanden sie in der Nähe und gingen den letzten Weg zu Fuß an den Häusern vorbei, die wie schwarze Kisten aussahen, denn Lichter brannten um diese Zeit nur wenige.
Jenseits der Siedlung erhoben sich sehr hohe Häuser, die an Säulen erinnerten oder an Pfeiler einer unsichtbaren Brücke.
Es herrschte eine hohe Luftfeuchtigkeit, doch noch hatten sich keine Dunstschwaden gebildet. Zahlreiche Gerüche und Aromen vereinigten sich in dieser Luft, die aus den Gärten herüberwehte, in denen die Sommerblumen blühten.
Niemand kam ihnen entgegen, und sie glaubten auch nicht daran, gesehen worden zu sein, als sie vor der Haustür mit dem kleinen Milchglasfenster stoppten.
Die Tür aufzubrechen brauchten sie nicht, denn Sam hatte Elton mal vor Monaten einen Schlüssel gegeben. Er wollte eine Sicherheit haben, dass jemand außer ihm und seinem damaligen Freund ins Haus konnte, wenn es mal Probleme gab.
Den Schlüssel hatte Elton nie gebraucht. Jetzt war er froh, dass er ihn hatte. Von innen war nicht abgeschlossen worden. Er musste den Schlüssel nur einmal kurz drehen, dann schnappte das Schloss.
Die Tür war offen und konnte nach innen gedrückt werden.
Sie betraten ein stilles Haus.
»Kennst du dich hier aus?«, fragte Tina leise.
Elton nickte nur.
»Und wohin gehen wir?«
»Ich kann mir vorstellen, dass sich unser Bruder schlafen gelegt hat.«
»Okay, dann schauen wir mal im Schlafzimmer nach.«
Die Stille des Hauses gefiel beiden nicht. Sie war anders als die normale nächtliche Stille in einem Haus.
Sie standen beide unter Druck, das spürten sie, ohne sich darüber auszutauschen.
Keiner traute sich, den Namen des Bruders zu rufen. Tina musste immer an das erste Drittel denken, von dem ihre unsichtbare Mutter gesprochen hatte.
War Sam das erste Drittel?
Elton Baker kannte sich nicht so gut aus, als dass er sofort auf das Ziel zugegangen wäre. Er musste kurz anhalten und sich orientieren.
»Was suchst du?«
»Das Schlafzimmer.«
»Okay.«
Es dauerte nicht lange, dann standen sie vor ihrem Ziel. Die Tür war nicht geschlossen. Sie stand einen winzigen Spalt breit offen, doch keiner von ihnen traute sich, sie ganz aufzuziehen, sodass sie das Zimmer betreten konnten.
»Hörst du was?«, hauchte Tina.
Elton schüttelte den Kopf.
»Das habe ich mir gedacht.« Tinas Blick nahm einen fiebrigen Ausdruck an. »Ich ahnte es und…«
»Ich gehe rein.«
»Danke.«
Auch Elton war nicht wohl dabei, als er die Tür des Schlafzimmers öffnete. Er hatte in den letzten Sekunden eine trockene Kehle bekommen, und auch sein Herz schlug jetzt schneller.
Es war normal dunkel im Raum. Jedoch nicht so finster, als dass er nichts hätte erkennen können. So sah er das Bett mitten im Raum stehen, und er erkannte auch, dass es nicht leer war. Jemand lag auf ihm und bewegte sich nicht.
Die Umrisse dieser starren Gestalt machten Elton Angst. Ob es sein Bruder war, das erkannte er nicht, aber er spürte eine Beklemmung, die immer stärker wurde.
Kein Schnarchen. Kein lautes Atmen. Nur die verdammte Stille – und der Geruch.
Ja, es roch hier anders. Nicht nach einem Schläfer und menschlichen Ausdünstungen, nein, dieser Geruch war anders und kam ihm sehr fremd vor.
»Ich mache Licht!«, flüsterte Tina hinter ihm.
»Gut.«
Tinas Hand glitt schabend über die Wand auf der Suche nach dem Schalter.
Sie fand ihn schnell. Sie musste nur tippen, dann wurde es unter der Decke hell, und diese Helligkeit breitete sich mit ihrem recht matten Licht strahlenförmig aus.
Sie erfasste alles, auch das Bett.
Und beide Menschen glaubten, inmitten eines grausamen Albtraums zu stehen.
»Muttertag…«
Tina wusste selbst nicht, warum sie dieses Wort ausgesprochen hatte. Es war einfach über sie gekommen. Sie hatte es sagen müssen, um nicht an diesem albtraumhaften Bild zu ersticken.
Es war grauenhaft. Es grub sich tief in ihr Gedächtnis ein, es würde nie wieder
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