143 - Die Höllenfahrt des Geisterzugs
Fauchen erfüllte die Luft, gefolgt von dem Gurgeln eines Menschen in höchster Todesqual. Dann verzehrte das Leuchten sich selbst, fiel rasend schnell in sich zusammen, und nicht einmal ein Stäubchen Asche blieb zurück.
Aus weit aufgerissenen Augen starrte Meier zur Tür, durch die noch immer der tödliche Nebel hereinquoll.
Um den Range Rover brauchten sie sich nicht zu sorgen. Selbst wenn sie ihn unverschlossen ließen, konnte niemand etwas mit dem Fahrzeug anfangen.
Burian Wagner kletterte vor Coco den Hang hinunter. Lockeres Geröll machte den Abstieg zur halsbrecherischen Klettertour, obwohl der Lichtkegel der Stablampe unablässig hin und her wanderte und das Ganze tagsüber wahrscheinlich ein Spaziergang gewesen wäre. Schon nach wenigen Minuten war von der Straße nichts mehr zu sehen.
„Langsamer, Coco", rief Burian. „Unmittelbar vor uns liegt eine steil abfallende Rinne."
Sie wichen zur Seite hin aus. Für eine Weile waren ihre hastigen, keuchenden Atemzüge und das Poltern losgetretener Steine die einzigen Geräusche. Dann vernahmen beide wieder das Blöken der Schafe.
Die Hexe war schon des öfteren die Strecke von Castillo Basajaun nach Barcelona mit dem Auto gefahren, doch sie konnte sich nicht entsinnen, jemals das einsam stehende Gehöft bemerkt zu haben. Vielleicht verbarg es sich einfach zu dicht am Viadukt.
Gut zwanzig Minuten vergingen, bis sie endlich den tiefsten Punkt des Taleinschnitts erreichten. Ein kristallklarer, eiskalter Gebirgsbach schlängelte sich munter plätschernd dahin. Höchstens noch zweihundert Meter entfernt erhob sich eine kleine Hütte, angelehnt an mannshohe Felsblöcke und von den knorrigen Ästen eines uralten Baumes überschattet. Schon vor Jahrhunderten mochten die klobigen Mauern aus Steinen aufgeschichtet und verfugt worden sein. Zum Teil wölbten sie sich bereits deutlich nach außen. Das Dach war mit hölzernen Schindeln gedeckt und von Flechten überwuchert, die auf dem angewehten Erdreich mehr als ausreichend Nahrung fanden.
„Platz genug für drei ist auf jeden Fall", stellte Burian unumwunden fest. „Und fließendes Wasser haben wir vor der Tür."
„Wenn nur das deine Sorgen sind, bist du gut dran." Coco hatte noch mehr sagen wollen, doch ein bedrohliches Knurren ließ sie verstummen.
Ketten klirrten. Ein mächtiger, zotteliger Schatten mit glühenden Augen und blitzenden Fängen schnellte heran. Coco fand nicht einmal die Zeit zu einem erschreckenden Aufschrei. Der Aufprall des schweren Körpers riß sie nach rückwärts von den Beinen. Instinktiv versuchte sie, sich abzurollen, schlug jedoch schwer auf und war für einen kurzen Augenblick benommen. Stinkender, heißer Atem schlug ihr entgegen; fingerlange Reißzähne schnappten unmittelbar vor ihrem Gesicht zusammen. Mordgier funkelte in den Augen des Tieres, das größer und kräftiger war als ein ausgewachsener Schäferhund.
Abermals schnappte die Bestie zu. Das war der Moment, in dem Coco für sich selbst den Zeitablauf beschleunigte. Das Tier schien plötzlich mitten in der Bewegung zu erstarren.
Coco, die ehemalige Hexe der Schwarzen Familie, wußte einen Teil ihrer magischen Fähigkeiten noch immer recht gut anzuwenden. Mühsam stemmte sie sich unter dem schweren Körper hervor, der wie eine bleierne Last auf ihrem Unterleib und den Beinen lag. Obwohl für die dabei einige Minuten vergingen, schlossen sich die Kiefer des Hundes in derselben Spanne nur um wenige Zentimeter. Coco hatte das Gefühl, alles um sich herum in einer überaus extremen Zeitlupe wahrzunehmen. Als sie die Kette aufhob, stellte sie fest, daß deren letztes Glied auf gebogen war. Der Hund hatte sich also losgerissen.
Coco Zamis nahm dem ebenfalls reglos stehenden Burian die Lampe aus der Hand und ging suchend um die Hütte herum. Auf der anderen Seite fand sie eine einbetonierte Säule mit einem wuchtigen Karabinerhaken. Es konnte keinen Zweifel daran geben, daß der Hund hier angekettet gewesen war.
Mit einem Fingerschnippen und einer magischen Formel beschleunigte sie endlich auch für Burian Wagner den Zeitablauf. Das erste, was sie zu hören bekam, war sein entsetzter Ausruf, der jedoch abrupt abbrach. „Du hast die Zeit beeinflußt", fügte er erleichtert hinzu.
Gemeinsam schleiften sie den Hund zu der Säule, und Coco hängte vorsichtshalber zwei Kettenglieder in den Karabinerhaken ein. Dann löste sie das Tier aus seiner Starre.
Knirschend schlugen die kräftigen Kiefer aufeinander. Der Hund heulte
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