143 - Die Höllenfahrt des Geisterzugs
Sie seine Existenz einfach als gegeben hin; jeder Versuch einer Erklärung würde zu weit führen."
Ein grauenhafter Schrei ertönte, der einem das Blut in den Adern gefrieren ließ. Er kam von außerhalb des Zuges und hielt sekundenlang an, bevor er gurgelnd abbrach. Burian wußte nicht, woher er die Sicherheit bezog, doch er ahnte sofort, daß er den Todesschrei einer nichtmenschlichen Kreatur, wahrscheinlich sogar eines Dämons, gehört hatte.
Es gab wohl niemanden, der nicht blaß geworden wäre.
„Was war das?" stammelte der Schaffner.
Burian wurde einer Antwort enthoben. Eine fein zerstäubte Flüssigkeit schlug sich von außen auf den Scheiben nieder. Sie war schwarz, besaß aber im Widerschein der Lampen einen giftgrünen Schimmer. Im Nu sammelten sich dicke Tropfen, die träge über das Glas wanderten. Wo sie von außen die Kreidezeichen berührten, wurden diese wie von unsichtbaren Fingern verwischt. Es war abzusehen, daß innerhalb von Minuten sämtliche Symbole unleserlich sein würden.
„Dämonenblut!" stieß Burian wie einen Fluch hervor. „Luguri hat einen der Seinen geopfert, um uns verwundbar zu machen." Vergeblich versuchte er, die zunehmend verblassenden Bannzeichnen nachzuziehen. Die Kreide haftete nicht mehr am Fenster.
„Muß es unbedingt geweihte Kreide sein?" fragte Meier geradeheraus.
„Nein." Burian machte eine Geste, die darauf schließen ließ, daß sogar er nahe daran war, aufzugeben. „Aber die Kreide hat die beste Wirkung."
„Lippenstift haftet noch besser auf Glas", stieß Meier hervor. „Die Frauen haben bestimmt Lippenstifte bei sich."
Nur eine halbe Minute später hielt Burian den Beweis für die Richtigkeit dieser Annahme in Händen. Mit blitzschnellen, zusammenhängenden Strichen zeichnete er ein Kreuz und zwei Drudenfüße auf die Scheibe. Das Rot haftete tatsächlich.
Willst du uns wirklich haben, Luguri? schoß es ihm durch den Sinn. Wir werden dir bis zum Letzten Widerstand leisten.
Er zeigte den anderen, welche Zeichen die wichtigsten waren. Allein konnte er es nicht schaffen, überall die Symbole zu erneuern. Mittlerweile sahen alle Passagiere ein, daß an den „Schmierereien", wie sich anfangs einige ausgedrückt hatten, doch etwas dran sein mußte.
Als Burian das letzte Abteil betrat, waren die Kreidezeichnungen dort schon gänzlich verwischt. Ein lauter werdendes Knistern und Knacken kam vom Fenster her, das bereits Sprünge aufwies. Das Glas begann abzusplittern.
„Raus hier!" rief Burian, doch der Aufforderung hätte es nicht mehr bedurft. Kaum hatten alle das Abteil verlassen, als die Scheibe klirrend auseinanderplatzte und die Splitter wie Geschosse umherschwirrten, sich mit bösartigem Sirren in die Polsterung der Sitze und die Wände hineinbohrten. Burian konnte die Tür gerade noch rechtzeitig hinter sich zuziehen. Mit fliegenden Fingern brachte er Bannzeichen an.
So konnte es indes nicht weitergehen. Der Zeitpunkt, an dem Luguri triumphieren würde, war schon jetzt abzusehen.
„Wir müssen versuchen, die Wagen von der Lok abzuhängen", begann Burian von neuem. „So fahren wir jedenfalls einem Ziel entgegen, an dem der Tod auf uns wartet."
„Angenommen, wir schaffen es wirklich", wandte der Schaffner ein. „Was geschieht dann mit uns?" „Ich weiß es nicht", gestand Burian.
„Haben wir überhaupt eine Chance, zurückzukehren?" wollte der Obergefreite wissen.
Burian hielt dem forschenden Blick des Soldaten stand, bis dieser verwirrt die Augen niederschlug, und erwiderte dann: „Solange sich mir nur die geringste Hoffnung bietet, diesem Alptraum zu entkommen, greife ich zu. Zum Sterben ist später immer noch Zeit."
„Das ist auch meine Meinung", pflichtete Meier bei. „Sich auf die Abwehr des Unheimlichen zu beschränken, wäre mit Sicherheit der falsche Weg. Damit gewinnen wir bestenfalls Zeit."
„Kommen Sie", wandte Burian sich an den Schaffner. „Ich muß alles ganz genau wissen."
Sie fand so abrupt ins Bewußtsein zurück, daß sie unwillkürlich einen heiseren Schmerzensschrei ausstieß. Sie lag auf dem Rücken, die Arme und Beine abgespreizt, und hoch über ihr war rauher, rußgeschwärzter Fels. In ihrem Schädel pochte und hämmerte es wie in einem Bergwerk. Sie erinnerte sich daran, daß jemand sie niedergeschlagen hatte.
Irgendwo hinter ihr erklangen Schritte und ein spöttisches Lachen.
„Es wird Zeit, Hexe, daß du wieder zu dir kommst. Luguri wartet höchst ungern auf seine Opfer." „Burian?" formte sie mit
Weitere Kostenlose Bücher