143 - Die Höllenfahrt des Geisterzugs
aufbäumt", vernahm sie wie aus weiter Ferne eine Stimme. „Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, daß sie im Pakt mit dem Bösen steht, so wäre er nun erbracht."
Wieder wurde Anna hochgezerrt. Die Folterknechte bekreuzigten sich. Anna sah den Richtblock, sah den Henker in seiner roten Robe und der Kapuze, die nur die Augen freiließ, sah das blitzende, riesige Beil, auf das er sich stützte, und die Panik verlieh ihr neue Kräfte. Sie kratzte und biß um sich. Einer der Knechte schrie auf, als sich die blutigen Abdrücke der Zähne auf seinem Handrücken zeigten.
„Wasch die Wunde mit geweihtem Wasser aus", wurde ihm geraten.
Der Kadaver einer Katze fiel vor ihr nieder.
Das war der Moment, in dem das Mädchen begriff. Sie hatte der Katze, die ihr eines Tages zugelaufen war, frische Milch gegeben. Milch von der Kuh einer Nachbarin. Am andern Morgen hatte die Kuh Schaum vor dem Maul gehabt und war noch im Lauf des Tages verendet.
„Ich bin keine Hexe", stieß sie verzweifelt und kaum mehr verständlich hervor. „So glaubt mir doch… "
Drei Männer waren nötig, sie festzuhalten, als ihr Oberkörper auf dem Richtblock lag. Anna hörte das bösartige Geräusch nicht, als die Klinge durch die Luft schnitt, sie verspürte nur einen kurzen, stechenden Schmerz…
… und vernahm plötzlich ein Raunen und Wispern von allen Seiten.
Komm, kleine Anna, fürchte dich nicht. Wir sind wie du, Mädchen, als Hexen verurteilt und hingerichtet. Werde eins mit uns und erzähle, was in der Welt geschieht.
Bin… ich jetzt tot? fragte sie stockend. War dies das Ende, der Himmel, oder träumte sie nur?
Dein Körper hat zu existieren aufgehört,
raunten die Stimmen.
Aber dein Geist lebt weiter. Es ist die Aura der Kristalladern, die uns eine neue Zuflucht gibt.
Anna „spürte" die Nähe des Henkers und seiner Folterknechte. Sie „hörte" wie er sagte, man solle ihren Körper den Ratten vorwerfen. Doch all das waren völlig neue Empfindungen, gänzlich anders als bisher.
…
Magie,
vernahm sie das Raunen erneut.
Sie ist ein Teil der Schöpfung, in der die Menschen leben, nur stehen sie den unermeßlichen Schätzen der Erkenntnis blind gegenüber.
Anna folgte dem Gefühl der Geborgenheit - ihr Geist wurde eins mit dem der Hexen.
Komm zu uns, Coco Zamis, komm… !
Zögernd schlug die Hexe die Augen auf. Der falsche Burian grinste sie herausfordernd an. Doch das war ihr egal. Sie fragte sich, ob sie geträumt hatte oder ein Opfer ihrer überreizten Nerven geworden war.
„Ich werde dich brennen, Hexe. Ganz langsam - wir haben viel Zeit."
Coco spie aus und traf Luguris Geschöpf mitten ins Gesicht. Mit dem Ärmel wischte er sich den Speichel ab, wandte sich wortlos um. Sie hörte ihn wieder an der Esse hantieren. Funken wirbelten auf, tanzten einen wilden Reigen. Ihr Widerschein ließ die Kristalladern hell glitzern.
Bist du Anna? dachte Coco intensiv.
Anna,
war da ein Flüstern in ihrem Schädel, nicht viel anders, als würde sie mit ihrem Sohn oder dem Hermaphroditen Phillip in Gedankenverbindung stehen.
Waltraude, Maria, Brunhilde… Wir haben viele Namen und sind doch eins geworden.
Ihr müßt mir helfen!
Sobald dein Körper tot ist, gehörst du uns. Darauf warten wir.
Ich habe nicht vor zu sterben. Eine große Aufgabe liegt noch vor mir.
Wir warten, Coco.
Das klang endgültig.
Seit langer Zeit kam keine Frau mehr zu uns, deren Erzählungen die Einsamkeit vertrieben hätten.
Sie sind an die Kristalle gefesselt, schoß es der Hexe durch den Sinn. Mit aller Kraft widersetzte sie sich den zunehmend drängender werdenden Rufen und Verlockungen. Einige der gefangenen Seelen besaßen ebenfalls die Kraft, anderen ihren Willen aufzuzwingen, doch in den langen Jahrhunderten des Alleinseins hatten sie verlernt, ihre Magie richtig anzuwenden.
Coco brach der Schweiß aus allen Poren. Ihre Lippen bebten. Abwechselnd hatte sie Hitzewallungen und fröstelte.
„Die große Coco Zamis, die sich anmaßt, ihre Herkunft zu verleugnen, zittert vor Angst", spottete Burian. Grinsend drehte er das Eisen in der Hand, dessen Spitze rotglühend war. „Ich werde dir Luguris Zeichen einbrennen."
Stirb und gehöre zu uns.
„Nein!" schrie die Hexe und bäumte sich verzweifelt auf. Die Fesseln hielten sie unbarmherzig fest. Sie spürte die sengende Hitze, roch den Rauch aus der Esse, der dem Eisen anhaftete. Irgend etwas in ihrem Innern, eine verschüttete Kraft, die bisher brachgelegen hatte, explodierte. Worte, an die sie sich
Weitere Kostenlose Bücher