143 - Rulfan von Coellen
Verbindungsplanken.
Etwas Rundes, Großes flog aus dem Hausboot über den Steg und traf Sir Percival vor der Brust. Der Schild des Hauptmanns. Paacival fing ihn auf, torkelte aber nach hinten gegen die beiden Poruzzen. Die verloren das Gleichgewicht – einer stürzte ins Wasser, der andere hielt sich am Grandlord fest und riss ihn um.
Im selben Moment erkannte Rulfan die Räder des Rollstuhls am Relinggatter. Haynz beugte sich aus dem Stuhl zu den Planken hinunter, packte sie, riss sie nach oben und stieß sie zur Seite weg. Sie klatschten in den Fluss, und mit ihnen versanken Paacival und der zweite Poruzze im Wasser.
Rulfan stieß einen Fluch aus und spurtete los. Noch knapp neunzig Schritte trennten ihn von der Anlegestelle.
Ein greller Blitz tauchte Hausboot, Ufer, Terrassen und Pfahlhütten jäh in hartes Weißlicht. Explosionsdonner splitterte über Menschen, Fluss und Siedlung. Im Fallen riss Rulfan ein halbwüchsiges Pärchen mit um und deckte sie mit seinem Körper. Bruchteile von Sekunden später regnete es Holztrümmer, Metallteile, Glas und Tonscherben auf die Terrassen und die Rücken der liegenden Menschen herab.
Rulfan hob den Kopf. Verletzte wälzten sich in Ufernähe, Schreie gellten durch die Nacht. Meterhohe Flammen züngelten aus dem Hausboot. Bugreling und Decksaufbauten waren weitgehend weggesprengt. Brennende Trümmer hatten ein paar Hütten getroffen. Aus dreien schlug schon Feuer. Auf dem Dach einer vierten hing eine brennende Stuhlsitzfläche mit einem ganzen Rad rechts und einem halben links. Die Lehne des Rollstuhls fehlte.
***
Das Kettenfahrzeug pflügte durchs Unterholz. Ein Panzer aus der Zeit der Alten. SIE hatten ihn eines Tages nach Marienthal gebracht; zusammen mit einem halben Dutzend ähnlicher Fahrzeuge und zwei Bleicontainern. Die Fahrzeuge standen in der neuen Garage, die Container lagerten im Rohbau der neuen Lagerhalle, angeblich die ersten von vielen, die noch folgen sollten.
Calundula hockte neben PXL im Transportsegment.
Angeblich ging es nach Coellen. Sie registrierte kaum, was um sie herum geschah. Zwei Tage Einzelhaft ohne Essen und Trinken und die Injektion davor hatten sie fertig gemacht.
In ihrem Kopf brannte die Gegenwart IHRER Stimmen.
Obwohl SIE ihr nichts Konkretes befahlen, spürte Calundula doch die intensive Überwachung. Es war ihr gleichgültig. Sie fühlte nicht mehr viel. Nur das Brennen und Drücken im Schädel und tief hinter dem Brustbein, bohrend und dumpf, die Liebe zu dem Mann an ihrer Seite.
Auch dass dessen Gesicht lange nicht so schlaff und maskenhaft war wie sonst, merkte sie zunächst nicht. Erst als er ihre Hand für kurze Zeit losließ und ihr kurz darauf zwei Tabletten in den Handteller drückte, blickte sie verwundert auf.
Seine Augen waren ungewohnt wach. So wach waren sie sonst nur, wenn sie mit ihm schlief. Er hielt ihre Hand mit den Tabletten fest, beugte sich zu ihr und küsste ihre Wange, ihre Augen und schließlich ihr rechtes Ohr.
»Acetylsalicylsäure«, flüsterte er. »Meine Wunde brannte und ich hab ein Schmerzmittel gesucht. In deiner Schlafzelle habe ich die Tabletten in einem Wandfach gefunden. Sammle Speichel und schluck sie unauffällig. Guur beobachtet uns.«
Tatsächlich: Im ovalen Sichtfenster, das Transportraum und Führerkabine trennte, entdeckte Calundula das Profil des Daa’muren. Sie schloss die Augen, und als PXL irgendwann ihre Hand freigab, auch ihre Finger. Sie wartete, bis der falsche Barbarenfürst sich wieder abwandte. Danach machte sie Kau- und Saugbewegungen, und als sich genug Speichel in ihrem Mund angesammelt hatte, tat sie, als gähne sie, führte die Rechte zum Mund und ließ die Tabletten hineinfallen. Erst als sie geschluckt hatte, begann sie nachzudenken.
Acetylsalicylsäure? In einem Wandfach ihres Schlafraums?
Richtig; vor mehr als einem Jahr hatte sie das Schmerzmittel vor Franz-Gustav von Leyden versteckt. Aus irgendeinem Grund hatte der Arztkollege damals den gesamten Bunker nach dem Präparat durchforstet. Das war kurz nachdem er selbst SIE und jenen Rulfan von Coellen nach Marienthal gebracht hatte.
Erschöpft von dieser Erinnerung döste sie ein Weilchen vor sich hin. Als sie aufwachte, fühlte sich ihr Kopf freier an. Das Gelände war ebener geworden, sie wurden nicht mehr so hin und her geschüttelt. Calundula blickte zum Heck. Ein Flügel fehlte, und so konnte sie erkennen, dass das Kettenfahrzeug über eine alte Autobahntrasse nach Norden fuhr. Weit konnte Coellen
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