143 - Rulfan von Coellen
nicht mehr sein. Sie spürte PXLs Hand auf ihrer Rechten, und zwischen seinem und ihrem Handteller wieder eine Tablette.
Sie sah sich unter den anderen um. Apathisch und eng aneinander gedrängt hockten sie auf der Pritsche rund um den Transportraum. Fünfzehn Marienthaler. Außer PXL und ihr noch zehn Männer und Frauen mit Sprengsätzen in den Körpern. Es fiel ihr schwer, die Gesichter zu identifizieren, aber nach ein paar Versuchen erinnerte sie sich wieder, wen sie operiert hatte.
Warum fuhr Suse nicht mit nach Coellen?
Die drei Männer, die sie nicht operiert hatte, waren bewaffnet. Zwei mit Hochenergiestrahlern, einer mit einer Art Schlagstock aus Kunststoff. Wen bewachten sie? Wem galten die Waffen? SIE pflegten sonst nicht ihre Sklaven mit Waffen zu bedrohen, das hatten sie auch gar nicht nötig…
Calundula stutzte. Seltsam, wie klar sie auf einmal wieder denken konnte. PXL beugte sich zu ihr, tat, als würde er sie küssen, und flüsterte: »Vorsicht, Liebste, sie haben ein Auge auf uns. Wir müssen unsere Gedanken beherrschen.«
Sie schluckte die dritte Tablette. Und wunderte sich über PXL – er redete, als wäre ihr Hirn ein offenes Buch für ihn.
Und wie initiativ er war! Sollte die Acetylsalicylsäure etwa die Wirkung des Virus hemmen? Und damit IHNEN die zerebrale Kontrolle ihrer menschlichen Werkzeuge erschweren?
Das wäre eine unbezahlbare Entdeckung! Und zugleich wäre es lebensgefährlich, denn SIE würden es schnell merken.
Eigenartige Erregung ergriff Calundula. Sie lehnte gegen PXLs Schulter und schloss die Augen. Sie versuchte sich schlafend zu stellen, versuchte an das Brennen im Kopf zu denken, an Schmerzen, an Gehorsam, an SIE, an gar nichts.
Doch ständig schweiften ihre Gedanken ab, kreisten um die Rottmards und den Jungen im Feuer, um die Sprengsätze in den Rippenplastiken, um den Sender.
Ein Richtfunksender vermutlich. Mit ihm konnten die Sprengsätze gezündet werden. Wenn es nun gelänge, eine möglichst große Distanz zwischen sich und den Sender zu bringen…?
Weg mit den Gedanken, schnell weg. Mit all ihrer Vorstellungskraft versuchte sie das dumpfe Brennen im Kopf zu beschwören und ein Gefühl der Willigkeit und Hingabe an SIE zu imitieren. Es klappte nicht; immer wieder schweiften ihre Gedanken ab, kreisten um Sprengsätze, Sender und Flucht.
PXL legte seinen Arm um sie. Sie dachte an die letzte Liebesnacht mit ihm. Endlich eine Erinnerung, die ihre Gedanken in Zaum halten konnte: Sex. Das war es. Sie dachte an PXL, sie dachte an ihre körperliche Vereinigung. Diese Bilder und Empfindungen waren stark genug, um die Gedanken festzuhalten.
Eine Stunde später stoppte der Panzer. Calundula hörte, wie die Türen der Fahrerkabine geöffnet wurden. Die drei Wachen sprangen aus dem Gefährt. PXLs Faust öffnete sich in ihrer Handfläche. Viele Tabletten rieselten aus ihr. »Das ist etwa die Hälfte deines Vorrats«, flüsterte er. »Dosiere sparsam…«
Der noch vorhandene Heckflügel wurde aufgerissen. Die Sonne stand schon dicht über dem westlichen Horizont.
Calundula sah das silberne Band des Großen Flusses, wie die Bewohner der Erdoberfläche den Rhein nannten. Sie befanden sich schon mitten in den Ruinen von Coellen. Vier oder fünf Kilometer entfernt sah man in der Ferne den Dom in den Abendhimmel ragen. Auch die Umrisse der Hohenzollernbrücke daneben glaubte Calundula zu erkennen.
Das junge kantige Gesicht und das rötliche Haupt des falschen Barbarenfürsten erschien vor der Ladefläche. Seine Augen blitzten, seine Züge waren bitter und hart. Er trug eine arm- und beinlose Rüstung aus schwarzem Leder und war mit Schwert und Hochenergiestrahler bewaffnet.
Diese Kreatur befand sich auf einem Kriegszug. Brauchte Calundula noch einen Beweis? Einen guten Plan brauchte sie, und einen Fluchtweg.
Neben Guur tauchte Sharan auf. Auch sie hatte sich einen Strahler auf den Rücken geschnallt. Ihre Miene war ausdruckslos, ihre Augen blickten gleichgültig. »Aussteigen!«, schnarrte sie.
***
Ein Holzsplitter war Ankela durch den Bauch schräg nach oben ins Herz gedrungen. Sonst war ihr Körper bis auf ein paar Brand- und Schürfwunden unversehrt. Von Haynz dagegen fanden sie nur den Torso und den rechten Arm. Den Rest hatten die Flammen gefressen, oder die Fische des Großen Flusses.
Von dem blonden Mädchen fanden sie gar nichts mehr.
Unter den Bewohnern der Pfahlhüttensiedlung gab es mehrere Dutzend Verletzte, lauter Männer und Frauen, die von
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