1432 - Die Fratze der Nonne
Johnny, ich möchte es einfach. Deshalb lade ich dich ein.«
»Wozu?«
»Ich möchte dich einladen, mit mir zu kommen. Wir sollten uns am heutigen Abend treffen.«
Mit diesem Vorschlag hatte Johnny nicht gerechnet. Umso überraschter war er, ihn zu hören, und aus einem ersten Impuls heraus schüttelte er den Kopf.
»Nein, das ist nicht nötig, wirklich nicht. Ich habe nur meine Pflicht getan.«
»Das glaube ich dir, Johnny. Für mich allerdings ist es mehr als eine Pflicht gewesen.«
»Unsinn. Jeder hätte so gehandelt.«
»Das glaube ich nicht.«
Elvira ließ einfach nicht locker. Johnny überlegte verzweifelt, wie er aus dieser Lage herauskam. Er wollte die Frau nicht vor den Kopf stoßen und suchte deshalb nach einer Ausrede.
»Ich – ähm – bin schon für heute Abend verabredet.« Johnny hoffte, die Lüge glatt über seine Lippen gebracht zu haben.
»Ach ja?«, fragte Elvira und schaute Johnny an. Wieder erlebte der junge Conolly, dass sich ihre Augen verändern konnten. Die grüne Farbe wurde intensiver, und er bekam aus der Nähe auch mit, dass die Farbe nicht einheitlich war. Überall zeigten sich winzige Streifen, wie bei einem sehr feinen Netz, das die Pupille umgab.
Es bereitete Johnny plötzlich Mühe, Luft zu holen. Er spürte auch seinen Herzschlag, wollte seine Antwort noch bekräftigen, was jedoch nicht klappte. Johnny erlebte so etwas wie eine Sperre und sagte etwas ganz anderes.
»Na ja, so richtig fest ist die Verabredung nicht.«
Die Nonne lächelte. »Siehst du, Johnny. Das hatte ich mir schon gedacht. Ehrlich. Ich sehe keinen Grund dafür, dass wir uns nicht treffen sollten.«
Johnny stimmte zu, obwohl er nicht hundertprozentig davon überzeugt war. Nur konnte er nicht anders. Der Blick dieser Person sorgte dafür.
»Na schön, wo?«
»Am Hyde Park.«
»Der ist groß.«
»Speakers Corner.«
»Ja, ich kenne den Ort.«
»Das ist gut.«
»Aber da ist auch viel Betrieb.«
»Am Abend weniger. Ich werden dich schon finden, Johnny. Und dann können wir in Ruhe über alles reden.«
So einfach gab sich Johnny nicht geschlagen. »Und wo willst du mit mir hin?«
»Möchtest du dich nicht überraschen lassen?«
»Nicht gern.«
»In diesem Fall solltest du eine Ausnahme machen. Dein Fahrrad brauchst du auch nicht, denn ich habe für alles gesorgt. Ich muss dir meine Dankbarkeit beweisen.«
Es hatte keinen Sinn, ihr zu widersprechen. Das wusste Johnny.
Gegen seine Überzeugung nickte er, was Elvira mit einem breiten Lächeln zur Kenntnis nahm.
»Nicht vergessen, heute Abend Speakers Corner«, sagte sie zum Abschied. Danach drehte sie sich um und ging weg.
Johnny Conolly blieb allein zurück. Er starrte nach vorn, doch Elvira war nicht mehr zu sehen. Durch seinen Kopf huschten zahlreiche Gedanken. Alles das, was er mit ihr erlebt hatte, lief in Bildern noch einmal vor ihm ab. Sein Gesicht war starr geworden, und sein Blick zeigte eine gewisse Leere.
Er wusste nicht mal, wohin die Nonne verschwunden war, und stellte sich zusätzlich die Frage, ob diese Person überhaupt eine normale Nonne gewesen war.
Johnny war zwar kein Kenner der Materie, aber gewisse Zweifel hatte er schon. Tief in seinem Innern ahnte er, dass er in etwas hineingeraten war, das auch für ihn gefährlich werden konnte. Jetzt überlegte er, ob er dieses Date sausen lassen sollte.
Das hätte ihm die Nonne sicher übel genommen. Hinzu kam eine gewisse Neugierde, die ihn gepackt hatte. Diese Person war nicht normal, obwohl sie so aussah. Abgesehen von den Farbe ihrer Augen.
Hinter dem Äußeren verbarg sich ein Geheimnis. Obwohl Elvira darüber nicht gesprochen hatte, war Johnny fest davon überzeugt.
Etwas lauerte im Hintergrund und würde erst dann zum Vorschein kommen, wenn es herausgelockt wurde.
Ich bin ein Conolly!, dachte Johnny. Und in dieser Familie läuft einfach nichts normal.
Diesen Gedanken akzeptierte er, und so nahm er sich vor, später zum Hyde Park zu fahren…
***
Das Gewusel der Menschen hatte sich verflüchtigt. Die Stelle, die man Speakers Corner nannte, weil dort jeder seine Meinung über Gott und die Welt kundtun konnte, war zwar nicht verlassen, aber sehr übersichtlich. Das Wetter hatte sich einigermaßen gehalten. Es war warm, ohne dass die Sonne schien, und über der Stadt lag eine gewisse Schwüle.
Zu Hause hatte Johnny kurz mit seiner Mutter gesprochen und vor seinem Verschwinden eine halbe Pizza gegessen. Sheila hatte bei ihm am Tisch gesessen und ihn danach gefragt, wie
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