1436 - Der Höllensohn
drangehe, sprich auf die Mailbox.«
»Gut.« Glenda notierte sich noch mal die Nummer, danach legte sie auf, und sie konnte nicht sagen, dass es ihr danach besser ging.
Hier kam etwas auf sie zu, das niemand beeinflussen konnte.
Es war einer dieser Augenblicke, in denen sich Glenda so verdammt hilflos fühlte. Sie saß in ihrem Büro, und das Gefühl, dass ihr die Hände gebunden waren, verstärkte sich immer mehr.
Wie konnte man John Sinclair helfen? Wie konnte sie ihm helfen?
Oder musste ihm überhaupt geholfen werden?
Genau das war die Frage. In Moskau auf dem Flughafen hatte es den Überfall gegeben, und es gab wohl keinen Menschen, der dabei einen Zusammenhang mit einem Fluggast vermutete.
Sie kannte diesen Schamanen nicht und seinen Geist erst recht nicht, aber sie konnte sich vorstellen, dass es ihm nichts ausmachte, das Leben aller Passagiere zu opfern, nur um seine Rachegelüste zu befriedigen…
***
Es war wieder die Stimme gewesen, und diesmal hatte sie die Drohung konkret ausgesprochen.
Ich hatte jedes Wort verstanden, und sie hatten sich in mein Gedächtnis eingegraben.
Wie stoppt man einen Geist?
Ich war gezwungen, die Antwort zu finden, aber zunächst musste ich fast lachen. Gab es für einen Menschen tatsächlich die Möglichkeit, einen Geist zu stoppen?
Wenn ich recht darüber nachdachte, hatte ich in meiner langen Laufbahn mit Geistern recht wenig zu tun gehabt. Es war stets um konkrete Feinde gegangen. Natürlich kannte ich feinstoffliche Körper, auch in verschiedenen Arten, wenn ich manche Engelwesen dazu zählte. Doch genau das war der Geist des Schamanen nicht.
Bestimmt kein Engel. Mehr ein Dämon. Möglicherweise auch nur die Seele eines Dämons, die der Spuk in seiner Welt nicht mehr haben wollte oder die er gar nicht erst aufgenommen hatte.
Für mich war es fraglich, ob sich der Geist des Schamanen um das Leben der anderen Menschen an Bord scherte. Wenn durch seine Schuld die Maschine abstürzte und alle Passagiere starben, dann hatte er damit ein Zeichen gesetzt. Zuzutrauen war es ihm, denn ich war ja daran beteiligt gewesen, dass ihm seine Gefährten, die mit ihm ewige Zeiten in der Höhle verbracht hatten, genommen worden waren.
Menschen, die vor Tausenden von Jahren mal gelebt hatten und eigentlich längst hätten tot sein müssen. Doch das war nicht der Fall gewesen, als durch ein lokales Erdbeben das Unterste nach oben gekehrt und die Höhle mit diesen uralten Menschen freigelegt worden war.
Ich war in den letzten Minuten sehr ruhig gewesen und musste mich auch irgendwie verändert haben, denn ich wurde von meinem Nebenmann auf der anderen Gangseite angesprochen.
»Geht es Ihnen nicht gut, mein Freund?«
Ich schaute den Popen an, der mir sein Lächeln zeigte. »Wie kommen Sie darauf?«
»Man sieht es Ihnen an, Sie sind etwas blass geworden.«
»Stimmt«, gab ich zu. »Das muss am Flug liegen. Irgendwie fühle ich mich nicht.«
Konstantin lachte. »Wenn ich daran denke, welche Flüge ich innerhalb meiner Heimat schon hinter mir habe, dann ist dieser hier nahezu eine Erholung.«
»Das glaube ich Ihnen.«
»Wissen Sie, John, auf den Strecken von Moskau in den Osten, da geht es oft hart zu. Da wird mit Maschinen geflogen, über die man nur den Kopf schütteln kann. Dass ich immer heil gelandet bin, dafür bin ich dem dort oben…«, er wies gegen die Decke, »… sehr dankbar. Er lässt die Menschen nicht im Stich, aber bestimmt auch, wann sie abzutreten haben. Das ist nun mal so im Leben.«
Ich nickte nur.
»Deshalb grämen Sie sich nicht. Manchen Sie sich nicht zu viele Gedanken. Lassen Sie einfach alles auf sich zukommen. Das ist am besten. Mich hat dieses Denken immer weitergebracht. Es hat mir in meinem Leben oft geholfen.«
»Danke für die Aufmunterung.«
»Keine Ursache. Es gehört zu meinem Beruf, den ich nun nicht mehr zu verbergen brauche. Das war vor Jahren noch anders. In der Zwischenzeit hat sich viel getan.«
Ich freute mich über die optimistischen Worte. Nicht viele Menschen reagieren so. Oft waren sie pessimistisch und auch misstrauisch gegen sich und die Welt eingestellt.
Die Stewardess ging durch die Reihe. Sie lächelte und fragte, ob alles in Ordnung war. Beschwerden gab es keine. Nur eine ältere Frau verlangte nach einem Kissen, das sie auch erhielt.
Der ruhige Flug hatte die meisten Passagiere animiert, ein Nickerchen zu machen.
Daran war bei mir nicht zu denken. Zwar zeigte ich nach außen hin Gelassenheit, innerlich jedoch war ich
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