1445 - Holt mich aus der Hölle!
den Tag legte, das passte nicht zu ihr.
Sie hätte etwas sagen müssen. Das Auge der Kamera hielt ihr Gesicht fest, doch sie sagte nichts. Ihr Mund blieb geschlossen. Es war zu sehen, dass sie schluckte, denn die Haut an ihrem Hals bewegte sich. Ihre Augen standen weit offen und blickten starr in die Kamera.
Irgendetwas stimmte mit der Frau nicht. Glenda war gespannt. Sie vergaß darüber sogar das Bügeln.
Cathy Fox versuchte es erneut. Sie holte Luft. Das Geräusch war sogar zu hören.
Ihr Gesicht hatte einen anderen Ausdruck angenommen. Die Lockerheit war verschwunden. Es gab kein Lächeln mehr. Dafür war es von einer inneren Anstrengung gezeichnet. Jeder Zuschauer konnte sehen, wie sie versuchte, erneut anzusetzen, und wie sie Luft holte.
Glenda schaute gebannt auf den Schirm. Sie konnte sich gut in die Lage der Frau hineindenken. In diesen so schrecklichen Augenblicken war sie mutterseelenallein. Sie gab sich zudem zahlreichen fremden Menschen preis. Man schaute zu, man sah ihr Gesicht, die Gefühle, die sich darin abzeichneten.
Angst?
Glenda glaubte es. Da gab es einen gewissen Druck, der einfach nicht zu übersehen war. Sie bewegte die Lippen, ohne dass sie etwas Verständliches sagte. Dann das Krächzen, auch das schwere Atmen.
Die Finger hatte sie in die Lehnen des Sessels gekrallt. Ein Bild, das man nicht länger hätte zeigen sollen. Doch der Kameramann war gnadenlos.
Plötzlich war es vorbei mit ihrem Schweigen. Cathy Fox riss den Mund auf. Glenda, die alles weiterhin beobachtete, ging davon aus, dass sie anfangen würde zu schreien. Das passierte nicht, denn sie sagte etwas. Sie hatte eine Botschaft, und die hinterließ bestimmt nicht nur bei Glenda eine Gänsehaut.
»Mein Kind weint! Mein Kind weint! Mein totes Kind, verdammt noch mal, weint…«
***
Wie Glenda Perkins hatten auch unzählige andere Zuschauer die Sätze gehört, aber sie reagierten bestimmt anders darauf, als Glenda, weil sie sich darauf keinen Reim machen konnten.
Das Schreien eines toten Kindes!
Genau das hatte John Sinclair auch gehört, aber den Gedanken wischte Glenda für den Moment beiseite, weil sie sich wieder auf den Bildschirm konzentrierte. Dort war noch immer die Frau zu sehen, in deren Gesicht ein Ausdruck wilder Panik zu erkennen war.
»Mein Kind weint, verdammt! Ich höre es in meinem Kopf!« Die Moderatorin schlug mit der Hand gegen ihre Stirn. »Hört ihr das nicht? Nein, das könnt ihr nicht hören, aber ich höre es. Es ist tot und trotzdem höre ich Kims Weinen. Bitte, ihr müsst mir glauben! Ich spinne nicht. Es ist wirklich meine Tochter, die sich bei mir meldet. Dabei ist sie seit einem Jahr tot! Mein Gott!« Sie schüttelte den Kopf, gegen den sie beide Hände gepresst hatte.
Die Mitarbeiter im Hintergrund waren ebenfalls geschockt. Man hörte sie trotzdem reden. Es war ein Stimmenwirrwarr, während die Moderatorin noch immer auf ihrem Sessel saß und das innerliche Grauen erlebte, dem sie sich nicht entziehen konnte.
Dann fiel sie nach vorn, als hätte sie einen Schlag gegen den Rücken erhalten. Für Glenda sah es so aus, als würde sie vom Sessel rutschen und zu Boden fallen.
Aber sie hielt sich und blieb noch auf der Kante sitzen. Es war eine Qual, ihrem Atem zuzuhören, der mit röchelnden Lauten vermischt war. Cathy Fox war völlig von der Rolle. Sie wusste nicht, wie sie sich bewegen sollte, man hörte sie nicht mehr schreien, aber das Flüstern jagte eine Gänsehaut über Glendas Rücken.
»Meine Tochter, meine tote Tochter…«
Es waren die letzen Worte, die Glenda und auch die anderen Zuschauer hörten. Danach wurde es wieder still, und plötzlich war kein Bild mehr zu sehen.
Dafür das Wort Störung.
Wie angewachsen stand Glenda Perkins neben ihrem Bügelbrett.
Sie konnte wirklich nur den Kopf schütteln und hatte den Eindruck, in ihrem Innern zu vereisen.
Nichts mehr war zu sehen.
Mit Cathy Fox musste etwas Schreckliches passiert sein, denn Glenda glaubte nicht daran, dass sie sich das Weinen ihrer verstorbenen Tochter eingebildet hatte.
Glenda war eine Frau der schnellen Entschlüsse. In diesem Fall allerdings reagierte sie anders. Sie stand starr auf dem Fleck. Ihr Blick war nach innen gerichtet. Sie musste erst verdauen, was sie gesehen hatte, aber sie wollte sich nicht zu lange Zeit lassen, denn das Schicksal hatte ihr einen Wink gegeben.
Sie ließ das Bügelbrett stehen und griff zum Telefon. Die Nummer, die sie wählte, gehörte John Sinclair…
***
Schon auf der
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