1457 - Ediths Leichenwelt
zerrte noch mal, und dann schwang der Deckel in die Höhe.
Freie Sicht für uns beide.
Unsere Augen weiteten sich synchron.
Wir hörten uns selbst scharf durchatmen. Unser Gefühl war nicht besonders gut gewesen, jetzt bekamen wir die Bestätigung.
In der Truhe lagen die Teile einer Männerleiche!
***
Nein, das war kein Anblick, der einen Menschen erbauen konnte.
Uns ebenfalls nicht, deshalb traten wir zurück und drehten die Köpfe zur Seite.
Wir schauten uns an.
Suko war blass geworden, und ich wusste, dass es bei mir ebenfalls so war. Er schaffte es, eine leise Frage zu stellen. »Das sind doch die Überreste eines männlichen Menschenkörpers, oder?«
»Ja, das sind sie.«
»In der Truhe…«
Ich hob die Schultern. »Tiefgefroren. Für später aufbewahrt, wenn nichts mehr da ist.«
»Edith Jacum, John…«
»Da stellt sich automatisch die Frage, wer oder was diese Person wirklich ist.«
Suko sprach es aus. »Entweder ist sie eine Kannibalin oder ein weiblicher Ghoul. Du kannst es dir aussuchen.«
»Beides ist grauenvoll«, murmelte ich. »Aber ich tippe doch eher auf einen Ghoul, denn ich muss daran denken, dass Lilly Sauter von einem Gestank gesprochen hat, der sie an verwestes Fleisch erinnerte, und das kommt einem Ghoul näher als einem Kannibalen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie riechen. Wirklich nicht.«
»Dann gehen wir davon einfach mal aus. Aber wir können auch sagen, dass Tanner den richtigen Riecher gehabt hat.« Suko schüttelte den Kopf. Er ging zur Truhe und schloss den Deckel wieder. »Das hier ist ein Job für ihn und seine Mannschaft.«
Ich war froh, den Anblick nicht mehr ertragen zu müssen. Schon einmal in der Wohnung, fing ich damit an, sie zu durchsuchen. Die Küche war nicht größer als eine Kammer, aber sie enthielt Werkzeuge, die man auch in einem Keller finden konnte, denn als ich eine Schublade aufzog, stockte mir schon der Atem.
Die Lade war sehr lang und breit. Das musste sie auch sein, um all die Werkzeuge aufzunehmen, die eigentlich in eine Fleischerei gehört hätten. Ich schaute auf ein Sägemesser mit breiter Klinge und sah auch die kleinen Beile, mit denen der Metzger die Knochen zerhackte.
Suko war mir gefolgt. Er warf ebenfalls einen Blick in die offene Lade.
»Das passt doch alles.«
»Du sagst es.«
»Dann brauchen wir nur noch die Frau, die sich ihren Nachschub eingefroren hat.«
»Edith Jacum«, murmelte ich vor mich hin. »Ich denke, die ist reif für eine Fahndung.«
»Du sagst es.«
Auf die Minute kam es jetzt auch nicht mehr an. So holte ich mein Handy hervor und rief Tanner an.
»Aha, ihr habt mich nicht vergessen.«
»Ganz bestimmt nicht.«
»John, deine Stimme hört sich nicht gut an.«
»Schon möglich, denn was ich hier in Edith Jacums kleiner Wohnung gefunden habe, das ist alles andere als gut.«
»Sind es die beiden Männer, die Paul Osika gesehen hat?«
»Nein, es ist nur ein Toter. Oder das, was von ihm übrig geblieben ist. Dieser Rest liegt in einer Tiefkühltruhe.«
»Scheiße!«, keuchte es an mein Ohr. »Verdammte Scheiße. Aber ich hatte eine Ahnung, eine Nase. Ha, und jetzt stecken wir wieder mal drin im Sumpf.«
»Dann komm mit deiner Mannschaft her.« Tanner wusste ja, wo er uns finden konnte. »Alles Weitere später.«
Suko hatte die Wohnungstür ausprobiert und festgestellt, dass sie abgeschlossen war. Aufbrechen wollten wir sie nicht, das konnten die Kollegen übernehmen.
Ich sah noch in eine kleine Schlafkammer, in der ein Krankenhausbett stand. Es war sogar säuberlich bezogen. Wie diese Edith Jacum aussah, das blieb uns verborgen, denn ein Bild von ihr fanden wir nirgendwo.
Durch die offene Tür traten wir wieder hinaus auf den Balkon und waren froh, die frische Luft in unsere Lungen saugen zu können.
Auch wenn es in der Wohnung keinen Leichengeruch gegeben hatte, es kam uns trotzdem vor, als würde er in unserem Hals kleben.
Lilly Sauter hatte ihren Balkon nicht verlassen. Sie schaute um das Ende der Mauer und schien zu merken, dass mit uns etwas nicht stimmte. Die Frage stellte sie uns aber erst auf ihrem Balkon.
»Da war doch was, oder?«
Ich nickte ihr nur zu.
»Und was?«
»Die Mordkommission wird bald hier sein.«
»Was?« Sie riss weit die Augen auf. »Sprechen Sie von einer Leiche?«
»Ja, es gab in der Wohnung einen Toten.«
»Und?«
»Man wird ihn anholen.«
»Und wer ist der Mörder? Oder die Mörderin?«
Ich hob die Schultern. »Das kann man so leicht nicht sagen, Mrs
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