1457 - Ediths Leichenwelt
Stoff vielleicht? Bist du eine Dealerin?« Kat schüttelte den Kopf und sagte: »Nein, das kann ich nicht glauben. Du bist keine Dealerin, nicht du. Ich glaube, dass du etwas ganz anderes bist.«
»Was denn?«
Kat hob die Schultern. Sie nahm eine lockere, gelassene Haltung ein, aber ihre innere Spannung war geblieben. »Ich habe keine extreme Menschenkenntnis«, flüsterte sie, »aber Weiber wie du sind für mich zu allem fähig. Ich kann mir sogar vorstellen, dass du in deiner Wohnung eine Leiche versteckt hast.« Sie lachte schrill. »Ja, einen Toten. So was traue ich dir zu.«
»Schön«, sagte Edith. »Und wenn das so wäre?«
»Dann hast du ein Problem.«
»Richtig.«
»Und deshalb kannst du dich auch nicht zurück in deine Wohnung trauen. So einfach liegen die Dinge.«
Edith atmete tief durch. Die dünnen Wangen in ihrem hageren Gesicht zuckten. »Du bist nicht schlecht, Kat. Du bist wirklich nicht schlecht. Alle Achtung.«
Die Grünhaarige zuckte zusammen. Sie hatte sich bisher als Siegerin gesehen. Nun musste sie zugeben, dass ihr Edith auf eine gewisse Art und Weise überlegen war.
Zudem gab es wenige Menschen, vor denen sich Kat fürchtete. Ein Leben in dieser Umgebung hatte sie hart gemacht. Bei Edith war sie sich nicht mehr sicher. Zwar hatten sie und Kat in einem Haus gelebt, aber in diesen seelenlosen Wohnsilos wusste so gut wie keiner etwas über den anderen. Da herrschte die Anonymität vor. Kat hatte sich bisher für einen Königin gehalten, das war nun vorbei.
Edith war ihr nicht nur gleichwertig. Wenn sie ehrlich war, stufte sie die Frau sogar als überlegen ein, und jetzt kam sie ihr auch noch gefährlich vor.
»Weiter«, flüsterte Edith, »was willst du weiter? Du hast mir aufgelauert. Du willst doch etwas wissen…«
»Nein, nein, nicht mehr nötig.« Kat ging zwei Schritte zurück und hatte das Pech, gegen einen der Container zu stoßen. Ein Fluch verließ dabei ihren Mund.
»Doch, es ist nötig. Ich werde dir die Wahrheit sagen.« Edith grinste breit und sah aus wie ein weiblicher Teufel. »Du bekommst die Chance, die ganze Wahrheit zu erfahren.«
»Ist schon okay. Vergessen.«
Edith blieb stehen. Ihre Haltung wirkte nicht mehr so bedrohlich.
»Es ist so, mein Kind. Ich habe sicherlich dort etwas versteckt, was die Bullen interessiert. In meiner Wohnung, aber auch an einem sehr guten Ort, das steht fest.«
»Wo denn?«
»In der Truhe, in einer Tiefkühltruhe. Zuerst habe ich den Kerl getötet, danach habe ich ihn in meine Wohnung geschleppt, was niemand sah, und dann habe ich ihn zersägt, damit er auch in die Kühltruhe hineinpasste. So, jetzt weißt du alles…«
Ja, sie wusste es. Jedes Wort hatte sie gehört und hatte sich bei Kat auch eingebrannt. Dass sie eine Frage stellen konnte, darüber wunderte sie sich selbst, und so flüsterte sie: »Warum hast du – hast du – das denn getan, verdammt?«
»Ganz einfach. Jeder muss leben, auch ich. Nahrung, meine Liebe, ich brauchte eine Reserve, um immer satt werden zu können…«
***
Kat hatte vom Herrgott nie viel gehalten. Religiöse Menschen waren ihr stets suspekt gewesen. In diesen schrecklichen Augenblicken aber dachte sie nur einen Satz: Lieber Gott, lass es nicht wahr sein!
Aber sie wusste auch, dass es stimmte. Eine Frau wie Edith Jacum bluffte nicht. Sie war einfach nicht der Typ dazu. Sie gehörte zu den Frauen, die eiskalt waren. Kat nahm ihr die Antwort ab. Sie schaute in die Augen der anderen und las darin, dass es in diesem Blick so gut wie kein menschliches Gefühl gab.
Eine Mörderin!, schoss es Kat durch den Kopf. Aber nicht nur das.
Sie war mehr. Sie ging noch einen Schritt weiter und nahm ihre Opfer als Nahrung. Nicht nur Mörderin, sondern auch Kannibalin?
Kat wunderte sich, dass sie so ruhig blieb und die Person vor sich nur anschaute. Noch war ihre Stimme weg, aber da gab es etwas in Edith Jacums Gesicht zu sehen.
War es Schweiß, der aus ihren Poren trat?
Nein, nicht direkt, auch wenn es den Anschein hatte. Doch eine dicke Flüssigkeit war vorhanden. Kat konnte ihren Gedanken davon nicht lösen, und sie sah die Tropfen, die der Schwerkraft gehorchen mussten und an der Gesichtshaut nach unten rannen.
Gleichzeitig stieg ihr ein fremder Geruch in die Nase. Er war einfach widerlich. Er war ekelhaft. So einen Gestank hatte sie noch nicht erlebt. Sie hatte die anderen mal von übel riechenden oder stinkenden Leichen sprechen gehört, und der Vergleich kam ihr jetzt in den Sinn.
Kat war nicht
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