1458 - Die Mordkapelle
können, wo sie gern war. Ich weiß nur, dass sie die Umgebung gern erkundete. Sie war eine wirklich begeisterte Bikerin. Sobald das Wetter günstig war, hat es sie raus in die Natur getrieben.«
»Auch Sie haben Vanessa gesehen?«
»Klar.« Sie lächelte. »Ich fahre auch Rad. Das hat mein Arzt mir nicht verboten. Und jetzt fällt mir ein, dass ich Vanessa hin und wieder getroffen habe.«
»Wo war das?«
»Überall, Mr Conolly. Die Umgebung bietet ideale Möglichkeiten für Biker. Einige Male habe ich sie am Wald gesehen, wo die kleine Kapelle steht.«
Ich horchte auf. »Kapelle?«
»Ja.«
»Und? Wird sie noch benutzt?«
»Nein, nein, sie ist sehr alt. Allerdings nicht unbedingt baufällig.«
»Man kann also sorglos hineingehen?«
»Kann man, Mr Sinclair. Aber ich denke, dass Sie keine richtige Freude daran haben werden.«
»Warum nicht?«
»Ganz einfach. Sie werden außer einem leeren Altar dort nichts finden, was mit dem christlichen Glauben zu tun hat. Vor Jahren hat man sie ausgeraubt. Später ist dann eine Gruppe von Jugendlichen gekommen, die dort ihre Partys gefeiert haben. Das war eine schlimme Zeit, kann ich Ihnen sagen. Dadurch ist die Kapelle entweiht worden. Ich weiß nicht, was man da getrieben hat, aber etwas Gutes kann es nicht gewesen sein. Da bin ich mir ganz sicher.«
»Entweiht worden ist sie, sagten Sie?«
»Ja, Mr Sinclair.«
»Ist mal der Begriff Teufel gefallen?«
Sie winkte ab. »Das kann ich Ihnen wirklich nicht sagen. Irgendwann sind diese Typen dann von der Polizei vertrieben worden. Seit dieser Zeit ist es ruhig.«
»Aber Vanessa ist gern in diese Kapelle gegangen, meinen Sie?«
»Das weiß ich nicht. Ich habe sie dort nur einmal gesehen. Es fiel mir auch nur auf, weil ihr Rad an der Wand lehnte. Da bin ich neugierig geworden.«
»Hat sie Sie auch gesehen?«
»Nein.«
»Und die Kapelle liegt außerhalb, sagen Sie?«
»Richtig.« Sie staunte uns an. »Heißt das – heißt das, dass sie ihr einen Besuch abstatten wollen?«
Ich hob die Schultern. »Wenn Sie uns den Weg beschreiben, hätten wir nichts dagegen.«
»Sie ist leicht zu finden. Man kommt nur nicht so einfach dorthin, denn es gibt keine normalen Wege. Mit dem Rad schon, aber da müssen sie über Land fahren.«
»Das werden wir.«
Bill verzog das Gesicht. Er dachte an seinen Porsche, der alles andere als ein Geländewagen war.
Mrs Lansbury gab uns die Wegbeschreibung, und als sie uns zur Tür brachte, da flüsterte sie: »Ich kann es noch immer nicht fassen. Nein, ich kann es nicht begreifen…«
***
Von Begreifen konnte auch bei Ryan und Tom nicht die Rede sein.
Sie taten, was sie ihrer Meinung nach tun mussten. Sie wollten nicht warten, bis der Killer oder die Killerin kam, sondern mussten die Dinge selbst vorantreiben. Nur wenn sie das Gesetz des Handelns in den Händen behielten, konnten sie das Schicksal beeinflussen.
Jetzt sorgten nicht nur Wolken für eine gewisse Dunkelheit, die Dämmerung selbst war es, die die Welt in diesen düsteren Grauschleier tauchte, der aus der letzten Ecke des Alls gekommen zu sein schien, um all die Bösen und Abartigen zu beschützen, die es auf dem Erdball gab.
Ryan und Tom hatten sich ausgerüstet. Nicht weit vom großen Holzstapel entfernt und teilweise von ihm verdeckt, stand die alte Truhe, die Ryans Mutter vor Jahren aus der Wäschekammer entfernt hatte, weil das Ding im Weg stand. Sie hatte die Truhe erst wegwerfen wollen, doch dagegen hatte sich Ryan gestemmt. Zwar war er noch ein Junge gewesen, aber auch da hatte er schon Geheimnisse gehabt und alles Mögliche dort versteckt.
Später hatte er den Inhalt ausgetauscht. Da gab es keine Nägel, Knöpfe oder besonders geformte Steine mehr, da hatte er sich für Waffen entschieden.
Zwei Messer mit feststehenden Klingen. Ein Springmesser, zwei Todschläger, Gummiknüppel und einen Schlagring, der genau über seine Hand passte.
Ein Arsenal, das er bisher eigentlich kaum angerührt hatte, jetzt aber brauchten sie es, denn sie wollten kurzen Prozess machen und diese tote Person endgültig killen.
Ryan war davon überzeugt, dass sie es schafften. Tom war da zögerlicher. Er hatte Angst. Zuzugeben traute er sich das aber nicht.
Mit den Rädern wollten sie nicht zur Kapelle fahren. Sie wollten zu Fuß gehen, um möglichst nicht gesehen zu werden. Aus diesem Grund wählten sie einen Umweg.
Ryans Mutter wusste nichts davon, dass sie unterwegs waren.
Toms Eltern auch nicht. Außerdem mussten die sich mehr um die
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