146 - Der Schatz in der Tiefe
Steuerbordecke gerutscht. Von dem Bewuchs waren große Flächen heruntergebrochen und lagen auf Deck. An diesen Stellen funkelte edles Metall, wenn die Blitze aufzuckten. Roquette wünschte sich, daß der nächste Blitz genau dort einschlagen sollte.
„Wie spät?" fragte Raymond. Seine Uhr lag irgendwo. Charlie schaltete Radar und Echolot aus und sagte: „Knapp sechs."
„Was passiert jetzt mit dieser Truhe, Roquette?" fragte er weiter. Sie drehte sich zögernd um und antwortete:
„Weiß ich noch nicht", erwiderte sie leise und nachdenklich. „Jedenfalls will ich keinen von euch dabeihaben."
„Hoffentlich ist das Ding nicht voller Gold", murmelte Khedoud halb scherzhaft. Roquette ließ das Glas sinken und gab in aller Schärfe zurück:
„Wenn Gold darin wäre, jedenfalls eine bemerkenswerte Menge, wäre das Netz gerissen. Es genügt, wenn ich mich in Gefahr bringe. Morgen könnt ihr mich an einem leeren Strand absetzen."
„Ich weiß nicht, was ich davon halten soll", sagte der riesige Taucher.
„Wir haben einen Vertrag", schaltete sich Charlie ein. Roquette fügte, von Donnerkrachen unterbrochen, hinzu: „Die Truhe ist wertvoll. Nicht der Inhalt. Vielleicht ist Schmuck oder so etwas drin. Keine Sorge, ich habe es nicht nötig, zu betrügen. Nicht wegen einer Handvoll alexandrinischer Goldstücke."
„Wir machen es auf ihre Weise!" bekräftigte Charlie. „Und heute feiern wir das vorläufige Ende von ein paar harten Wochen. Im
Arche de Noe
ist der beste Platz."
„Nach dem Wahnsinn dort draußen."
„Klar."
„Ich nicht", sagte Khedoud. „Ich dusche den Wasservorrat leer und haue mich mit der Rotweinflasche ins Bett."
Charlie stimmte ein schallendes Gelächter an und rief: „Meinetwegen. Wenn du Sorgen wegen des Kleingelds hast, Partner… es gibt genug davon, mittlerweile."
Das Gewitter dauerte noch eine Stunde. Dann hörte es schlagartig zu regnen und zu stürmen auf. Charlie riß die Fenster und die Heckschiebetür auf. Durch ein riesengroßes leeres Feld zwischen den Wolken sah man die Sterne. Auf den meisten Schiffen und entlang des Hafens wurde es plötzlich lebendig. Charlie und Roquette machten sich landfein, und Raymond schob die verschiedenen Schlauchverschlüsse der Borddusche zusammen. Er rief ihnen nach:
„Keine Sorge! Ich gehe schon nicht an die geheimnisvolle Truhe!"
Charlie und Roquette winkten fröhlich zurück. Langsam, aber mit knurrenden Mägen gingen sie entlang der vielen Hafenlichter hinauf in das winzige Städtchen, und an diesem Abend waren sie die ersten Gäste im Restaurant der beiden alten Schwestern.
Nach einer Stunde fing Raymond Khedoud sich zu langweilen an. Das Radio brachte seichte und weniger seichte Schlager, die Flasche war fast leer, und er lag sauber und in weißem Leinenzeug auf der Sitzbank der Kabine und las. Die rätselhafte Kiste lag im Licht der Stegbeleuchtung und der beiden Lampen der Kabine. Er stellte die Flasche und das Glas auf den Tisch und sagte sich, daß sich Skipper und Freundin freuen würden, wenn er den Fund sauber aufgeräumt hätte. Charlies Sauberkeitswahn an Deck war ansteckend.
Raymond zog die Schuhe an, tappte aufs feuchte Deck hinaus und packte mit den alten Lederhandschuhen die Kiste an ihrer Unterseite. Er hob sie aus dem stinkenden, schmierig gewordenen Netz und stellte sie auf die Steuerbordkiste. Dann nahm er den exakt zusammengerollten Wasserschlauch und spritzte die heruntergefallenen Ablagerungen weg. Der stechende Gestank blieb; auch als er den scharfen Strahl auf die Truhe richtete und reichlich Druckwasser darauf sprühte, wusch er zusammen mit dem dicken Schmutz den Geruch nicht weg.
Brummend zuckte er die Schultern und rollte den Schlauch wieder zusammen.
„Soll sich Roquette darum kümmern", sagte er sich und wollte zu seinem Rotwein zurück. Er trat auf ein handgroßes Stück kalkiges Gestein, rutschte halb aus und packte, als er sich an der Heckreling festhalten wollte, die Truhe. Sie rutschte vom nassen Brett und kippte mit einem dumpfen Geräusch auf das Deck. Es knirschte seltsam, und als er sich wieder gefangen hatte, sah er, daß sich der Deckel verschoben hatte.
Halb hatte er sich wieder herumgedreht, hatte beide Arme ausgestreckt und wollte die Kiste wieder hochstemmen, als ihn der Blitzschlag traf. Er sah vor seinen Augen einen kurzen, blendenden Schein, dann vereiste sein Körper. Er wurde ohnmächtig, und das war die letzte Empfindung, die Raymond Khedoud hatte.
Als er sich wieder
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