146 - Der Schatz in der Tiefe
kenne ich ihn", versuchte er sie zu beruhigen. Aber Roquette blieb nervös, und so zahlte er und ging langsam mit ihr hinunter zu den Stegen und den vielen Lichtern.
Katzen huschten fauchend durch das Halbdunkel. Alle Hunde der Insel schienen abwechselnd zu heulen und zu jaulen. Durch die Luft flatterten die Mauersegler, und auf dem Schutzdamm des Wellenbrechers stießen die Möwen ihre seltsamen Rufe aus, die stets wie das Wimmern und Jammern geschundener Kreaturen klangen.
Roquette blieb vor der Laufplanke stehen. Ihre Finger krallten sich in Charlies Arm. Sie zeigte auf den Sarkophag, und mit zitternder Stimme sagte sie leise: „O mein Gott!"
Charlie begriff viel zu langsam. Die Frau sprang plötzlich an ihm vorbei, turnte blitzschnell ins Heck und verschwand in der Kabine. Sekunden später war sie zurück und schleppte Handscheinwerfer und ein paar Gegenstände mit sich. Sie drückte ihm eine Waffe in die Hand.
„Hier. Für dich. Aber wahrscheinlich ist es zu spät. Komm", sagte sie in einem völlig fremden Tonfall. Sie bewegte sich vorsichtig, aber mit geradezu tödlicher Entschlossenheit. Sie standen neben der Kiste, als der Lichtstrahl aufblendete. Der Deckel lehnte an der Seitenkante, die Kiste lehnte schräg an der Holzkonstruktion, in der die Taucheranzüge steckten und die Flossen.
Charlie sagte sich, daß es besser war, zu schweigen. Er verstand nichts, nur daß sich die Kiste selbst geöffnet oder Khedoud seiner Neugierde doch nachgegeben hatte.
Sie sahen, daß das Innere fast völlig leer war. Drei ringförmige Gegenstände glänzten. Es gab keine Mumie, nur eine Staubschicht. Vom Anprall waren weitere Verkrustungen abgefallen und zeigten die prunkvollen Verzierungen.
„Es ist passiert", sagte Roquette langsam. „In der Truhe befand sich eine Gefahr, die so grausam ist wie ein Aids-Virus. Wir sind zu spät gekommen."
Sie hielt ein furchterregendes Messer in der Hand, fast ein kleines Bajonett. Sie gab Charlie den Scheinwerfer, stellte die Kiste flach hin und fuhr mit der Waffe entlang der Kanten und Seitenwände. Dann legte sie sie weg und hob den Deckel auf die Kiste, nachdem sie die drei Gegenstände herausgenommen hatte. Sie zeigte sie in der flachen Hand.
„Das sind ägyptische Ankhs, vielleicht inzwischen viereinhalbtausend Jahre alt. Die Priester legten sie auf die Mumie des bösen Geistes, der magisch versiegelt hier ruhte. Ich kann mir denken, wie es passiert ist, Charlie."
Schweigend starrte er abwechselnd sie und den Sarkophag an.
„Durch euer Arbeiten unter Wasser und durch die Erschütterungen an Deck während der Gewitterfahrt hat sich alles gelockert. Da. Der Schlauch. Das Netz!"
Es hing an einem Tampen halb im Hafenwasser. Der Gestank war fast völlig verflogen.
„Raymond wollte aufräumen. Dabei fiel die Kiste herunter und ging auf. Und jetzt hat sich Raymond Khedoud in etwas verwandelt, dem kein lebender Mensch je begegnen sollte. Auf dieser Insel, mein ahnungsloser Freund, rennt das menschenverderbende Grauen durch die Dunkelheit. Ich kann nur hoffen, daß wir ein kleines bißchen Glück haben. Du kannst vom Boot telefonieren?"
„Ja", brachte er hervor. Roquette verstaute mit ihm zusammen die Truhe im Maschinenraum, wo andere Funde versteckt waren. Dann schob sie Charlie in die Kajüte und fing mit einer Reihe seltsam erscheinender Handlungen an. Sie gab ihm zwei dicke Silberketten für die Handgelenke und eine längere Kette, die er um den Hals befestigen mußte. Er legte den schweren Revolver auf den Tisch. Schließlich gab sie ihm eine Visitenkarte, auf der eine Telefonnummer unterstrichen war.
Auf der Rückseite stand dieselbe Nummer noch einmal, diesmal mit einer Gruppe von Vorwahlziffern.
„Glaube mir", sagte sie drängend. In ihren Augen schimmerten Tränen. Ihr Gesicht war weiß geworden, ihre Züge schärften sich vor Konzentration und Entschlossenheit. „Es geht um Leben und Tod von vielen Menschen. Verlange diese Nummer in Andorra. Dann gib den Hörer mir."
Sie schob die Tür zu und lehnte sich dagegen, als wolle sie verhindern, daß Charlie flüchtete. Zögernd nahm er den Hörer mit der Sprechtaste aus der Halterung und fragte, voll im Bann dieser gespenstischen Vorgänge: „Willst du mir nicht zuerst erklären, was das alles heißt?"
„Nein. Tue, worum ich dich gebeten habe. Ich erkläre dir alles - nachher! Schnell!"
Charlie wählte die nächste Küstenfunkstation und bat um die Vermittlung des Telefonats. Er wiederholte Schiffsname und
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