1468 - Tanz im Totenreich
darauf, dir helfen zu können.«
Ich konnte es drehen und wenden, ich konnte sagen, was ich wollte, aber ihre Meinung änderte ich nicht. Es hatte keinen Sinn, ihr zu drohen und sie dabei anzuschreien, ich musste mich als Fatalist geben und mich in mein Schicksal fügen.
Raniel, der Gerechte, hatte mir einen Lehrling geschickt. Eigentlich hätte ich darüber lachen müssen, aber dieses Lachen blieb mir in der Kehle stecken, denn die Sachlage war einfach zu ernst.
Was tun?
Marietta stand am Fenster und schaute durch die Scheibe. Sie drehte mir ihren schmalen Rücken zu. Das weiße Kleid passte ihr perfekt, und sie sah aus wie eine junge Braut.
»Diese Welt kann so wunderbar sein, John, aber wir beide wissen, das dies nicht immer und überall zutrifft. Es stimmt doch, oder siehst du das anders?«
»Nein, auf keinen Fall.«
»Und ich möchte dabei helfen, das Böse zu bekämpfen. Deshalb bin ich bei dir.«
»Es wird dir nicht immer gelingen. Du wirst das erleben, was man Frust nennt.«
»Ja, ich weiß. Ich bin lange genug ein normaler Mensch gewesen und habe mich geirrt, indem ich an das Gute glaubte. Zu stark eigentlich, deshalb hat mich auch das Böse so hart getroffen. Aber ich bin aufgefangen worden, man gab mir eine zweite Chance, und die werde ich nutzen, auch über alle Widerstände hinweg.«
Große Worte, denen ich nicht viel entgegensetzen konnte. Im Prinzip hatte sie Recht. Die Welt war einfach so, und ändern konnten wir sie leider nicht.
Mir ging eine andere Frage durch den Kopf. Die hielt ich auch nicht zurück. »Hast du dich deinen Eltern oder deinen Verwandten bereits offenbart?«
Ohne sich umzudrehen, winkte sie ab. »Nein, das habe ich nicht. Es würde für sie schlimm sein, wenn sie mich so sehen. Sie würden wahrscheinlich durchdrehen. Sie haben sehr unter meinem Tod gelitten, und ich möchte ihnen die Zeit geben, drüber hinwegzukommen. Es kann sein, dass ich mich in einigen Jahren offenbaren werde, aber das weiß ich jetzt noch nicht. Zunächst steht meine Aufgabe im Mittelpunkt, das habe ich Raniel versprochen, und das bin ich ihm auch schuldig.«
Sie hatte sich klar und fest geäußert. Für mich stand fest, dass es verdammt schwer sein würde, sie doch noch von ihrem Vorhaben abzubringen. Vielleicht sogar unmöglich.
»Du weißt Bescheid, John…«
Ich runzelte die Stirn. Der Satz hatte sich angehört, als wollte sie mich verlassen.
»Moment mal, wir haben miteinander gesprochen, wir kennen jetzt unsere Standpunkte, aber der gemeinsame Nenner ist noch sehr klein, so wie ich das sehe…«
»Er wird größer werden, keine Sorge.« Auch jetzt drehte sich Marietta nicht um. Sie wusste genau, was sie zu tun hatte, und sie bewies ihre Andersartigkeit.
Einen Schritt ging sie noch vor, obwohl sich dort das Fenster befand. Ich wollte sie noch zurückhalten, doch ich hatte vergessen, wer sie wirklich war und was sie konnte.
Ein heller Umriss entstand für einen winzigen Moment, als sie mit der Scheibe verschmolz.
Dann war sie durch und weg!
***
Ich kippte das Bier aus der Dose in ein Glas, weil ich den Geschmack des Metalls nicht mochte und das Trinken aus einem Glas auch stilvoller war.
Ich konnte die Menschen verstehen, die sagten: Jetzt brauche ich erst mal ein Bier. So erging es mir.
Ich saß im Wohnraum, ließ die Zeit verstreichen und war alles andere als müde.
Zu viel war passiert und durch den Besuch der toten Tänzerin in Bewegung geraten.
Dass sie über die Gründe ihres Erscheinens nicht gelogen hatte, das war mir drastisch klar gemacht worden. Wir hätten es sonst nicht geschafft, Naomi vor ihrem Vergewaltiger zu retten. Das allein wäre für mich okay gewesen, aber dass sie weitermachen wollte, damit hatte ich meine Probleme. Sie war klein angefangen und lauerte jetzt wahrscheinlich auf die größeren Fälle, von denen Raniel ihr sicherlich berichtet hatte. Denn er war der Mann im Hintergrund, ihr wirklicher Mentor und Chef. Da er mich gut kannte, war es kein Wunder, dass er seinen Schützling zu mir geschickt hatte, damit ich ihn unter meine Fittiche nahm.
Ich dachte darüber nach, mir noch eine zweite Büchse Bier zu holen, als sich das Telefon meldete. Obwohl ich wach war, schrak ich zusammen und überlegte, wer um diese Zeit etwas von mir wollte.
Natürlich fiel mir Marietta ein, die vielleicht etwas vergessen hatte, aber das konnte es nicht sein. Sie hätte andere Möglichkeiten gehabt, sich bei mir zu melden.
Ich hob ab und kam nicht dazu, etwas zu sagen,
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