147 - Stunde X
Blutmeer. Das wurde dunkel und begann zu faulen…«
Erzvater saß auf seinem Thron im ehemaligen Altarraum und erzählte seinen Traum. Sein Diener Baruk und der Bote Kurat standen rechts und links seines hohen Lehnsessels, davor ein hoch gewachsener Nosfera im langen grauen Mantel. Den Kopf geneigt und die Arme vor der dürren Brust verschränkt, lauschte er den Worten Erzvaters.
Der erzählte mit heiserer Stimme. Erzählte, wie in seinem Traum unzählige Nosfera starben, die vom verdorbenen Blut gekostet hatten, erzählte von dem einen Krieger, der durch das knietiefe Giftblut watete und sein Schwert zog.
»… es wurde länger und länger. Am Ende wuchs die Klinge bis in den Himmel, ja bis zur Sonne. Er schlug zu, seine Klinge fuhr in das verfaulte Blutmeer, und das Blut wurde wieder genießbar.« Der Uralte verstummte, betrachtete den Fremden vor seinem Thron und schloss: »Das war mein Traum. Kannst du ihn deuten, Damiec?«
Kurat hatte Damiec zu Erzvater in die alte Kathedrale gebracht. Zufällig hörte der Bote von einem weisen Nosfera, der aus dem Osten kam und auf der Durchreise nach Westen in Moska rastete. Auf dem Marktplatz, wo der fremde Nosfera jedem weissagte, der gut bezahlte, hatte er Damiec schließlich getroffen. Zwei Liter Menschenblut verlangte er für seinen Dienst in der Kathedrale. Erzvater versuchte gar nicht erst zu verhandeln. Auch fragte er den Fremden nicht, woher er kam und wohin er wollte. Er ließ ihn zu sich kommen und erzählte ihm den Traum.
»Ein großer Traum, wahrhaftig«, begann Damiec. »Ein Traum, durch den Murrnau zu seinem Diener gesprochen hat.«
»Allein, ich verstehe seine Botschaft nicht.« Erzvater gestikulierte ungeduldig. »Übersetze sie mir, wenn du kannst!«
»Ich werde es versuchen.« Damiec senkte den langen Schädel und begann vor dem Thron auf und ab zu gehen. »Das Blutmeer ist die Zukunft unseres Volkes. Eine tödliche Gefahr bedroht sie.« Den Rücken zum Thronsessel des Alten gewandt blieb er stehen und starrte ins Halbdunkel der alten Kathedrale.
»Die Gefahr ist schon längst über die Welt gekommen!«
Erzvater konnte sehen, wie der Prophet die Schultern hochzog.
»Schon zerstört sie die Zukunft, und nicht nur die der Nosfera…« Damiecs Stimme wurde leiser, sie begann zu zittern.
»Viele werden im Licht einer grausamen Sonne sterben, sehr viele…« Er fuhr herum. Schrecken und Angst nistete in seinen fahlen Zügen. »Das Schwert bedeutet Krieg. Eine gewaltige Schlacht steht bevor. Kämpfer vieler Stämme treten gegen die tödliche Gefahr an. Am Ende wird unser Volk wieder Hoffnung auf eine Zukunft haben, und mit ihm die anderen Stämme auf Erden.«
Er kam näher, hob seinen Arm und deutete mit zitternder Hand auf den Greis. »Auch du, Erzvater, entsendest ein Heer in die große Schlacht, sobald der Ruf zu den Waffen ergeht. Und der erste Nosfera, der hier, vor deinem Thron, seine Klinge blank zieht, soll deine Kämpfer anführen.« Sein Arm sank, seine Stimme verhallte in der Kathedrale.
Ein paar Atemzüge lang sprach niemand ein Wort. Der fremde Prophet zitterte jetzt am ganzen Leib und verbarg sein Gesicht in den Händen, als wolle er seine Tränen verbergen.
Endlich wandte Erzvater sich nach rechts an seinen Diener Baruk. »Gib ihm seinen Lohn und bring ihn nach draußen.«
***
London, Mitte September 2521
Am Vorabend des Großen Kriegsrates erreichte Matthew Drax per ISS-Funk die zweite Absage. Er hielt sich gerade auf dem Dach der Ruine des ehemaligen Verteidigungsministeriums auf, als Rulfans Anruf kam. Der Albino, Sir Leonards Sohn, befand sich in seinem Heerlager am Rand des Erzgebirges, wo er seit Wochen Kämpfer aus dem weiten Umland um sich scharte.
Dort wollte er bleiben und die Entscheidungen aus dem Londoner Hauptquartier abwarten. Die Transporter der Allianz sollten seine Armee dort abholen und zum Kratersee bringen, wenn es so weit war.
Für zwei Männer, die eine Zeitlang Freunde und bis zum heutigen Tag immerhin noch Kampfgefährten waren, verlief das Gespräch reichlich knapp. Matt fühlte sich nicht gut, als er die Verbindung unterbrach. Er fragte sich, was ihn mehr schmerzte: Dass Rulfan nicht am Kriegsrat teilnehmen wollte, oder das Verhältnis zwischen ihm und dem Albino, das partout nicht mehr zu seiner alten Form zurückfinden wollte. Obwohl Rulfan das Ringen um Aruulas Gunst aufgegeben hatte, schien es nach wie vor zwischen ihnen zu stehen.
Vom Dach des früheren Verteidigungsministeriums aus überblickte
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