1472 - Wahnsinn in Manhattan
Dunkelheit nur schlecht erkennen müssen. Die Wirklichkeit sah anders aus. Sie hob sich deutlich vor dem dunklen Hintergrund ab, als würde sie von innen leuchten.
Für mich stand jedenfalls fest, dass mit dieser Person einiges nicht stimmte.
Das halblange Blondhaar tanzte bei jedem Schritt. Sie musste mich gesehen haben, was ihr aber nichts auszumachen schien. Locker, als wäre niemand da, ging sie weiter.
Aber dass mit ihr wirklich etwas nicht stimmte, erlebte ich an der Reaktion des Kreuzes.
Es erwärmte sich.
Ich war alarmiert. So harmlos, wie dieses Geschöpf sich gab, war es ganz sicher nicht.
Die Frau nahm weder mich noch Suko oder Mac Dury zur Kenntnis. Sie setzte ihre Weg fort wie jemand, der auf ein bestimmtes Ziel fixiert ist und es nicht aus den Augen lassen will.
War ich das Ziel?
Da sie keinerlei Anstalten traf, die Seite zu wechseln, musste ich davon ausgehen. Sie ging nicht mal sehr schnell und dachte auch nicht daran, ihre Schritte zu beschleunigen, als uns nur noch wenige Meter trennten.
Aber dann passierte doch etwas anderes.
Die Frau blieb plötzlich stehen.
Sie schaute mich an.
Ich blickte zurück.
Suko wollte wissen, was los war.
»Ich kann es dir noch nicht sagen. Wir müssen abwarten, aber sie scheint über etwas gestolpert zu sein, was ihr nicht gefällt.«
»Meinst du dich?«
»Ja…«
Bisher hatte ich keinen anderen Grund erkannt. Und auch in den folgenden Sekunden bewegte sich die Person nicht vom Fleck. Sie wollte einfach nicht gehen. Ich suchte den Blick ihrer Augen, aber auch dort war nichts zu erkennen, was ich als eine Antwort hätte nehmen können.
Ich ließ das Kreuz versteckt. Eine innere Stimme sagte mir, dass es besser war. Normalerweise wäre die Blonde weitergegangen, aber das tat sie auch weiterhin nicht. Sie konzentrierte sich auf mich. Ich war für sie derjenige, auf den es ankam.
Durch das Ausstrecken meines linken Arms zeigte ich ihr meine friedlichen Absichten. Und ich sprach sie mit leiser Stimme an.
»Bitte, was kann ich für dich tun? Wer bist du?«
Sie schüttelte mit einer recht heftigen Bewegung den Kopf. Das sah nicht eben friedlich aus.
»Geh weg! Geh weg!«
Ich blieb hart. »Wer bist du? Wo kommst du her? Du musst doch einen Namen haben.«
»Ich bin Susan Walters.«
»Und wo kommst du her?«
»Von drüben…«
Ich runzelte die Stirn. Die Antwort konnte vieles bedeuten.
Von drüben, das konnte die andere Seite sein. Das Jenseits, eine andere Dimension, was auch immer. Nur fiel es mir schwer, ihr Erscheinen mit dem Hintergrund der Stadt New York in Verbindung zu bringen.
»Was ist drüben?« fragte ich.
»Die Apokalypse. Die Zeiten des Untergangs sind nah. Der Tod ist es leid, in den Hintergrund gedrängt zu werden. Er wird sich zeigen und seine Spuren bei den Menschen hinterlassen…«
»Du hast ihn gesehen?«
»Ja, das habe ich.«
»Wie schön. Kann ich ihn auch sehen?«
Sie zögerte. Sie kam auch nicht näher. Etwas hielt sie davon ab, mich direkt anzufassen, denn sie nahm meine Einladung nicht an.
Ein kurzes Kopfschütteln, dann ging sie wieder zurück.
»Bitte…«, rief ich.
»Nein, du nicht!«
Nach dieser Antwort war für sie alles klar. Sie warf sich herum und rannte weg.
Zwar war ich darauf gefasst gewesen, aber es vergingen doch einige Sekunden, bis ich in der Lage war, die Verfolgung aufzunehmen.
Ich glaubte, viel schneller als sie zu sein, und musste erleben, dass ich zwar lief, aber irgendwie nicht vom Fleck kam.
Genau das zeigte mir, wie stark die andere Kraft war, die sich mir entgegenstemmte.
Ob sie von Susan Walters ausging oder eine andere Ursache hatte, war für mich nicht erkennbar.
Aber Susan war schneller als ich. Ich sah, dass sie sich abstieß und etwas geschah, das auch mich noch überraschte.
Denn nun musste ich mit ansehen, dass Mac Dury nicht gelogen hatte!
Ich sah Manhattan, ich sah das Chaos, und ich sah den Tod!
***
Das Bild war der gemalte Wahnsinn. Und es kam mir tatsächlich vor wie eine Bühnendekoration, die sich in ihrer gesamten Breite innerhalb des Tunnels ausgebreitet hatte.
Vom Boden bis zur Decke gab es nur dieses eine Bild. Eine Szenerie, die durch das grünliche Leuchten sichtbar geworden war und die mich in ihren Bann zog.
Die hohen Häuser. Sie bildeten die Schluchten der Millionenstadt New York. Und genau dort lag der abgehackte Kopf der Statue, auf die die Amerikaner so stolz waren, denn sie war für sie das Symbol der Freiheit, das auch vielen anderen Menschen den Weg
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