1480 - Endstation Hölle
Sie Gift nehmen.«
Sie hatte mich verstanden, denn sie sagte: »Dann fahren wir noch nicht weiter?«
»Zumindest ich nicht. Wenn Sie wollen, können Sie den Wagen haben und damit nach London fahren. Den Rest regeln wir schon. Ich aber möchte bei Danny bleiben, weil ich davon ausgehe, dass es zwischen ihm und seinem Großvater trotz allem noch eine Verbindung gibt.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Es ist auch nicht weiter tragisch. Ich kann Ihnen sagen, dass es zwischen Lebenden und Toten oft genug noch Verbindungen gibt. Wobei ich nicht davon ausgehe, dass Herbert Fulton tot ist.«
»Was ist er dann?«
»Er befindet sich möglicherweise in einem anderen Zustand oder hat auch schon so genannte Dimensionsgrenzen überschritten.«
»Nein, John, das verstehe ich nicht. Das will ich auch nicht verstehen, wirklich nicht.«
»Das ist Ihr Problem.«
Bisher hatte Danny Fulton nichts getan. Er hatte nur auf der Stelle gestanden und zugehört oder zugeschaut. Das war nun vorbei.
Nach einem kurzen Ruck setzte er sich in Bewegung und ging auf die Bettseite, die ihm am nächsten lag.
Für einen Moment blieb er dort stehen, senkte den Kopf und schaute sich das leere Bett an. Aus seinem Mund drang kein Laut.
Trotzdem schien ihn etwas zu interessieren, denn er starrte sehr intensiv die Bettoberfläche an. Dann streckte er den Arm aus und fuhr mit der flachen Hand über die Matratze hinweg. Er streichelte sie, als wollte er von ihr Abschied nehmen, und seine Lippen bewegten sich dabei.
Wir mussten schon näher an ihn heran, um überhaupt etwas verstehen zu können. Es störte ihn nicht, dass wir dabei dicht hinter ihm standen. Er sprach weiter.
»Du bist nicht tot, Grandpa, das weiß ich. Du kommst zurück, und ich warte auf dich…«
Edna und ich tauschten einen Blick. Edna hob die Schultern. Auch sie schaute zu, wie Danny immer wieder mit der flachen Hand über das Bettlaken strich.
Plötzlich lachte er leise und durchaus positiv, bevor er flüsterte:
»Du bist in der Nähe, Grandpa. Ich spürte das, und ich weiß es auch. Du bist bei mir, und du wirst mich nicht im Stich lassen, da bin ich mir sicher. Ehrlich…«
Das war nicht das, was wir hatten hören wollen. Ich versuchte, dem Jungen auf andere Weise eine Antwort zu entlocken.
Sehr behutsam stellte ich meine Frage und hielt dabei den Kopf gesenkt.
»Siehst du deinen Großvater, Danny? Und kannst du ihn spüren?«
»Das – das – weiß ich nicht.«
»Aber du kannst mit ihm sprechen?«
»Ja.«
»Gibt er dir denn Antwort?«
»Hm – nein. Aber ich weiß genau, dass er nicht ganz verschwunden ist. Ich hoffe auf ihn.«
»Okay«, sagte ich. »Du hoffst auf ihn. Was hat er dir denn mitgeteilt?«
»Nichts, nichts…« Unwillig schüttelte er den Kopf. »Er hat mir nichts gesagt.«
»Aber du hast ihn…«
»Nicht gesehen. Ich spüre ihn nur in meiner Nähe. Er lässt mich nicht im Stich. Es ist alles so anders. Wirklich, ich weiß, dass er noch lebt.«
Was sollte ich dazu sagen? Nichts, denn mein Gefühl und meine Ahnung sagten mir, dass er uns die Wahrheit gesagt hatte. Und dass es eine Verbindung zwischen ihm und seinem Großvater gab, daran glaubte ich fest. So etwas gab es. Es wäre nicht das erste Mal, dass ich so etwas erlebt hätte.
Ich strich über seinen Kopf und fragte: »Möchtest du hier im Zimmer bleiben und auf deinen Großvater warten?«
Er dachte einen Moment nach. »Nein, nein«, erwiderte er fast zu hastig. »Ich muss wieder nach unten.«
»Gibt es einen Grund dafür?«
Er schaute zu mir hoch. In seinen Mundwinkeln zuckte es. Er nickte bedächtig. »Ja, es gibt einen Grund. Einen sehr großen sogar. Aber nicht hier – nicht hier.« Er sprach wie ein Erwachsener, und überhaupt war das Kindliche bei ihm verschwunden. Er schien in der letzten halben Stunde einen Reifeprozess durchgemacht zu haben, der nicht normal war. Es steckte womöglich etwas anderes dahinter.
Ich fragte ihn nicht. Wir würden es bestimmt herausfinden, davon war ich überzeugt, aber wir mussten Geduld haben, und so tat ich auch nichts, als Danny sich von mir wegdrehte und mit kleinen Schritten auf die Tür zuging.
»Und was machen wir, John?« fragte Edna.
»Wir werden ihn nicht aus den Augen lassen.«
»Sie glauben also, dass noch etwas passieren wird?«
»Das denke ich.«
»Weiter fragen muss ich nicht – oder?«
»Nein.«
»Mein Gott«, sagte sie, als wir in den Flur traten. »Wenn mir das jemand gestern gesagt hätte, dass ich heute so was erleben
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