1488 - Schamanen-Zauber
Er stülpte sie einfach über das blasse Gebilde. Jetzt sah er wieder aus wie ein Mensch mit einem starren, asiatisch anmutenden Gesicht.
Über die Schwelle trat eine Frau. Sie war dunkelhaarig. In ihrem Haar steckten Orchideenblüten. Das Gesicht mit den Mandelaugen zeigte einen sehr sanften Ausdruck, und der kleine herzförmige Mund war zu einem Lächeln verzogen.
Im Gegensatz zu Igana war sie westlich gekleidet. Eine blaue Cordhose und ein weißer Pullover mit spitzem Ausschnitt, an dessen Seiten sich die Ansätze der Brüste wölbten.
»Wir können die Reste nicht hier liegen lassen, Meister.«
»Ich weiß es, Lola. Kümmerst du dich darum?«
»Gern. Wo sollen wir sie entsorgen?«
»Es gibt doch wilde Müllkippen.«
»Ja, ich kenne sogar eine.«
Der Meister ging auf sie zu. Er streichelte sie und sagte: »Du bist meine Sonne, Lola.«
»Danke, danke…«
Igana ging. Er wusste, dass noch viel Arbeit auf ihn wartete, denn seine Zeit hatte erst begonnen…
***
»Guten Morgen«, sagten Suko und ich wie aus einem Munde, als wir das Vorzimmer betraten. Wir hätten uns die Begrüßung sparen können, denn Glenda Perkins war nicht da. Dafür roch es nach frischem Kaffee, und ein Blick auf die gut gefüllte Kanne sagte mir, dass die braune Brühe nicht vom gestrigen Tag stammte, sondern frisch war.
»Und wo steckt unsere Kaffeefee?« fragte ich.
Suko hob die Schultern. »Vielleicht muss sie sich noch aufbrezeln. Man wird ja nicht jünger.«
Ich winkte ab. »Lass sie das nur nicht hören.«
»Egal. Nimm dir deinen Kaffee und ruh dich aus.«
»Warum sollte ich?«
»Nach dem Fall in der vergangenen Nacht, den du sogar ohne meine Hilfe durchstanden hast, müsstest du ziemlich müde sein.«
»Ja, durchstanden und überstanden. Es war verdammt knapp, aber die Kinder leben, und das allein ist wichtig.«
»Man soll sich eben nicht mit Prinzessinnen abgeben, Mister Geisterjäger. Bei ihnen ist nichts so, wie es scheint.«
»Sprichst du aus Erfahrung?«
»Kann sein. Schließlich habe ich mit Shao so etwas Ähnliches wie eine Prinzessin zu Hause.«
»Wenn du das sagst.«
»Und ob.«
Ich schenkte mir eine Tasse ein und betrat nach Suko unser gemeinsames Büro. Obwohl es alles andere als ein Palast war, freute ich mich darüber, es wiederzusehen. In der letzten Nacht hätte ich beinahe mein Leben verloren. Es war wirklich haarscharf gewesen, aber ich hatte Hilfe von einer anderer Seite erhalten. Ob es die Erzengel oder Schutzengel gewesen waren, wusste ich noch immer nicht. Jedenfalls gab es keine Dämonen-Prinzessin mehr, die den Kindern Märchen erzählte und sie dann in eine satanische Dimension entführte.
Ich wollte unserem Chef, Sir James, Bericht erstatten, aber das hatte Zeit.
Vor uns lag noch ein ganzer Tag, und ein neuer Fall lag bisher nicht an. Darauf verlassen konnten wir uns nicht, aber wenn das so weiterging, dann war es ein Tag, an dem ich mich gut verdrücken konnte, um einige Einkäufe zu tätigen. Es war nicht mehr lange hin bis Weihnachten, und wer konnte schon wissen, was noch alles auf uns zukam.
Der Kaffee schmeckte wie immer, nur Glenda ließ sich nicht blicken. Möglicherweise war sie schon bei Sir James, um sich irgendwelche Dinge anzuhören, die tagsüber erledigt werden mussten.
»Wie sieht es mit dem Mittag aus?« fragte Suko.
»Was meist du?«
»Sollen wir was essen gehen?«
»Weiß nicht.«
»Du hast was anderes vor, das sehe ich dir an.«
Ich kam um eine Antwort herum, denn aus dem Vorzimmer hörten wir das Geräusch von Schritten. Die Folge kam uns bekannt vor, denn so schwungvoll ging nur Glenda Perkins.
Und schon erschien sie auf der Schwelle zu unserem Büro. Ich wollte etwas sagen, aber ich hielt ebenso den Mund wie Suko, denn unsere Assistentin sah alles andere als fröhlich und frisch aus. Sie wirkte elend und musste sich sogar am Türrahmen abstützen.
»He, was ist los?«
»Ich glaube, ich muss nach Hause.«
»Das sieht man dir an«, sagte Suko. »Was ist denn passiert?«
»Ich habe mir wohl einen Virus eingefangen.«
»Oje.«
»Der erwischte mich schon in der U-Bahn. Schlagartig war alles anders. Ich habe es soeben noch bis hierher geschafft.«
Ich stand auf und ging zu ihr. Glenda sah aus, als könnte sie Unterstützung gebrauchen.
»Echt blöd, nicht?« flüsterte sie.
»So etwas erwischt jeden mal.«
»Schon. Aber es ärgert mich.«
»Egal, da musst du durch. In ein paar Tagen ist alles vergessen. Du legst dich ins Bett, besorgst dir Medikamente
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