1491 - Im Schloss der Hexen
fragte Harry.
Dagmar wiegte den Kopf. »Wenn ich ehrlich sein soll, muss ich sagen, dass er mir schmeckt.«
»Das ist die Hauptsache.«
»Und dir?«
»Ein Bier wäre mit lieber.«
Dagmar verdrehte die Augen. »Auf die Antwort habe ich gewartet ehrlich.«
»Ja, ein Bier ist ehrlich, und es löscht besser den Durst. Die Bratwürste waren schon scharf angebraten.«
»Das müssen sie auch sein.«
»Stimmt.«
Beide lächelten sich zu und tranken wieder. Sie genossen es, keinen beruflichen Stress zu haben. Urlaub bis in das neue Jahr hinein.
Das war etwas, das sie fröhlich und locker machte, und sie hofften, dass sich die Firma – so nannten sie den Dienst – nicht melden würde, damit sie wieder irgendwelche Sachen aus dem Feuer reißen sollten, bei denen die normalen Agenten Magenschmerzen bekamen. Denn Harry und auch Dagmar wurden auf Fälle angesetzt, die ins Okkulte gingen. Sie gehörten zu den Menschen, die darüber Bescheid wussten, was sich manchmal hinter der sichtbaren Welt abspielte und oft genug brutal in das Leben der Menschen eingriff und sie nicht selten dem Tod zuführte.
Dagmar lockerte ihren Schal. »Da kann einem ganz schön warm werden. Zum Glück ist es kälter geworden.« Sie trank noch einen Schluck und stellte sich bequemer hin, denn die englischen Gäste hatten den Tisch mittlerweile verlassen und waren weitergezogen.
»Wo gehen wir noch hin?« fragte Dagmar.
»Willst du weiter über den Markt?«
»Tja, ich überlege noch.«
Harry hob seine Hände etwas an. »Wenn du mich fragst, brauche ich das nicht mehr.«
»Und was möchtest du?«
Er lächelte. »Etwas trinken. Aber keinen Glühwein. Ein gutes Bier. Die Kneipen sind zwar voll, aber zwei Plätze werden wir noch ergattern können, denke ich.«
»Einverstanden.«
»Ho, danke.«
»Du bist mit mir über den Markt gegangen, und ich gehe mit dir, damit du deinen Durst löschen kannst.«
»Das ist lieb.«
Der Glühwein kühlte zwar ab, allerdings nicht so schnell. Sie mussten noch immer in kleinen Schlucken trinken. Dabei schauten sie sich nicht gegenseitig an, sondern ließen ihre Blicke schweifen.
Sie gaben sich dabei locker, schauten sich die Menschen an, die noch immer an den Buden Schlangen und Reihen bildeten, hörten die verschiedensten Weihnachtslieder an ihre Ohren klingen und wurden eingehüllt von den Düften der Würste und des Glühweins.
Beide standen locker und entspannt, bis Dagmar sich plötzlich versteifte und kerzengerade dastand, was Harry sofort auffiel.
»He, was ist los?«
Vor ihrer Antwort ließ Dagmar den Becher sinken und stellte ihn ab. »Hast du die Frau gesehen?«
»Welche?«
»Sie trägt einen gelben Mantel und scheint mit den Nerven völlig am Ende zu sein.«
»Wieso glaubst du das?«
»Sie spricht Menschen an und scheint immer nur den gleichen Satz als Antwort zu hören. Nur ist sie nie positiv, denn sie läuft danach sofort zu einer anderen Gruppe weiter.«
»Na und?«
»Die Frau ist verzweifelt!«
Dagmar hatte den Satz mit einer Stimme ausgesprochen, die Harry aufmerksam werden ließ.
»Welche denn?«
»Dreh dich mal nach rechts!«
Das tat Harry, nachdem er noch einen Schluck genommen hatte.
Die von Dagmar beschriebene Frau fiel ihm schon beim ersten Hinsehen auf. Sie stand an keiner Bude mehr, auch nicht an einem Tisch, sondern mitten im Gang zwischen den Buden, sodass die Leute sich an ihr vorbeidrängen mussten. Sie schüttelte den Kopf und schlug dabei einige Male die Hände vor ihr Gesicht.
»Harry, mit ihr stimmt was nicht.«
»Das sehe ich auch.«
»Ich gehe mal hin.«
Stahl wollte noch etwas sagen, aber Dagmar war bereits unterwegs. Sie hatte eben ihren eigenen Kopf, und Harry wusste, dass er sie nicht zurückhalten konnte.
Dagmar sprach die Frau an, die zusammenzuckte. Dann hob sie den Kopf und blickte Dagmar ins Gesicht. Dagmar lächelte sie beruhigend an, was der anderen Person wohl gefiel, denn sie hörte zu und nickte schließlich.
Für Harry stand fest, dass die beiden Frauen zu ihm kommen würden.
Sie unterhielten sich auf der kurzen Strecke. Harry sah, dass die fremde Frau mehrmals nickte, aber er bekam auch mit, dass sie sich ziemlich zusammenriss.
»So, da sind wir«, sagte Dagmar und rückte dicht an den Tischrand heran. »Darf ich vorstellen? Das ist Marion Jäger. Sie sucht ihre Tochter Julia, die verschwunden ist, und das passierte hier auf dem Markt.«
Harry schaute die Frau an und lächelte ihr zu. Sie trug einen gelben Mantel, der in der Mitte
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