1491 - Im Schloss der Hexen
verdammten Hütte, und das ärgerte ihn.
Ein kalter Hauch strich über seinen Rücken. Er atmete nur durch den halb geöffneten Mund. Harry Stahl hatte gelernt, auf sein Gefühl zu achten, und das tat er in diesem Augenblick.
Er sah ein Sofa und einen Tisch und wunderte sich darüber, dass es in dieser Hütte relativ hell war. Da sich an den Seiten keine Fenster befanden, hätte es eigentlich dunkler sein müssen, denn das Licht, das durch die Tür drang, war es nicht allein, das die Dunkelheit in diesem Raum erhellte.
Er ging in die leere Hütte hinein. Seine innere Spannung verdichtete sich. Es schien ihm, dass die Hütte doch nicht so leer war, wie es beim ersten Anschein ausgesehen hatte.
Von draußen hörte er das Flüstern der beiden Frauen. Was sie sagten, verstand er nicht, aber sicherlich schauten beide durch die offene Tür in die Hütte. Da von Julia Jäger nichts zu sehen war, ging er davon aus, dass die Sorgen der Mutter nicht kleiner geworden waren.
Aber auch von der Hexe sah er nichts.
Genau das bereitete ihm Probleme. Warum war sie nicht in ihrem Haus geblieben?
Für ihn gab es nur einen Grund. Die Hexe hatte es geschafft, das Mädchen zu entführen. Mochte der Teufel wissen, wo die beiden steckten, hier im Haus jedenfalls nicht.
Der nächste Schritt brachte ihn bis dicht an den Tisch heran. Über dessen Platte schaute er hinweg bis zur Wand, und dort sah er etwas, was nicht so recht in den gesamten Rahmen hier hineinpasste.
An der Rückseite zeichnete sich der Umriss eines Fensters ab. Ein Umriss und kein richtiges Fenster, das sich öffnen und schließen ließ. Zumindest ging er davon aus.
Hatte es etwas zu bedeuten? War es trotzdem als Fluchtweg anzusehen? Er überlegte hin und her und entdeckte dabei keine Auffälligkeiten. Dafür ging er noch einen langen Schritt, aber am Tisch vorbei, um so an das Fenster zu gelangen.
Die Frauen hatten sich nicht länger aufhalten lassen. Zuerst vernahm Harry das leise Knarren der Tür und Sekunden später Marion Jägers Stimme. »Mein Gott, sie ist nicht da!«
Harry wollte sich umdrehen und antworten, aber in diesem Augenblick zeigte das Haus sein wahres Gesicht. Es öffnete sich praktisch den drei Menschen.
Mit dem Fenster fing es an.
Sein Umriss erhellte sich, und auf Harry wirkte es wie zuckendes Licht.
Bisher war das Innere des Fensters nur dunkel gewesen, doch das war jetzt vorbei.
Es zeigte sich ein Bild.
Eine lange Treppe. Eine dunkelhaarige Frau mit einem Messer in der Hand.
Sie war nicht allein. Ein Mädchen mit rotblonden Haaren stand mit ihr zusammen auf einer breiten Treppe, die zu einer ebenfalls breiten Tür hochführte.
»Julia!« schrie Marion Jäger. »Das ist Julia!«
***
Wenn es um ihr Kind geht, reagiert eine Mutter immer anders als eine neutrale Person. Das war auch hier nicht anders, denn kaum war der Schrei verklungen, rannte Marion Jäger auf das Fenster zu.
Sie wollte hindurchklettern, um zu ihrer Tochter zu gelangen, und sie war auch so schnell, dass Harry Stahl nicht mehr rechtzeitig reagieren und die Frau zurückhalten konnte.
»Julia!« Erneut schrie sie den Namen ihrer Tochter, bevor sie sich abstieß und auf das Fenster zusprang.
Es war kein Fenster.
Es war ein in sich geschlossenes Rechteck, das nur ein Bild zeigte.
Und genau dies musste die Frau schmerzlich erfahren, denn sie prallte gegen einen Widerstand. Das Fenster war nur angedeutet worden, aber nicht das, was sich darin abgespielt hatte.
Die Frau schrie, als sie zurücktaumelte. Sie hatte sich die rechte Hand geprellt, und sie stolperte noch über den Tisch. Dabei fiel sie auf Harry Stahl zu, der sie auffing.
»Bitte, Frau Jäger, das ist…«
»Meine Tochter!« schrie sie und riss sich von Harry los. »Das ist doch meine Tochter!«
»Ich weiß.«
»Und das andere ist die Hexe!« brüllte Marion Jäger, die in die Knie gegangen war. »Was hat das hier alles zu bedeuten?«
Dagmar griff ein. Es war besser, wenn eine Frau versuchte, die Mutter zu beruhigen.
»Bitte, Frau Jäger, bitte. Reißen Sie sich zusammen!« Dagmar zog die Frau zurück, die ihren Blick nicht von der Szene lösen konnte.
Auch Harry Stahl starrte darauf und stellte sich die Frage, was diese Szene zu bedeuten hatte.
Zunächst ging er davon aus, dass sie der Wahrheit entsprach. Nur spielte sich das Geschehen nicht hier ab, sondern auf einer anderen Ebene, in einer anderen Dimension. Auch das war dem Agenten bekannt, denn er wusste, dass es außerhalb der normalen Dimension
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