15 Gruselstories
konnte, ob das an seiner furchtlosen Rede oder an dem Revolver lag, mit dem er den Leuten vor der Nase herumfuchtelte. Wie dem auch war: Sie machten sich wieder an die Arbeit. Sie vermieden es jedoch ängstlich, beim Ausgraben einen Blick auf die Statue zu werfen.
Nach einigen Stunden war die ganze Gottheit freigelegt. Das Grauen, das schon von der Krone auf dem Haupt ausgegangen war, wurde durch den Anblick des Kopfes und des vollständigen Körpers nur noch verstärkt. Die ganze Statue machte einen obszönen und erschreckend boshaften Eindruck. Sie war unbeschreiblich fremdartig. Sie war zeitlos und würde es bis in alle Ewigkeit bleiben. Die schwarze, grob gehauene Figur wies nicht eine einzige Schramme auf. Obwohl dieses steinerne Ungeheuer höchstwahrscheinlich seit Jahrhunderten eingegraben war, hatten ihm keine Witterungseinflüsse etwas anhaben können. In demselben Zustand, in dem Carnoti jetzt diese Gottheit sah, mußte sie zum Zeitpunkt des Eingrabens gewesen sein. Und der Anblick, der sich ihm bot, war alles andere als erfreulich.
Die Statue hatte mit einer Miniaturausgabe der Sphinx Ähnlichkeit – einer lebensgroßen Sphinx mit den Flügeln eines Geiers und dem Körper einer Hyäne.
Carnotis Blick fiel auf die Klauen und Krallen. Dann betrachtete er sehr eingehend jede Einzelheit des plumpen, bestialischen Körpers, auf dem ein unförmiger, massiver Schädel ruhte, der die unheilvolle dreifache Krone trug, in die die gräßlichen Darstellungen geschnitzt waren, durch die die Eingeborenen in eine Panikstimmung versetzt worden waren. Aber das weitaus gräßlichste an dieser Steinfigur war, daß sie kein Gesicht hatte. Es war eine Gottheit ohne Antlitz. Es war Nyarlathotep, der Gott ohne Gesicht aus der frühen ägyptischen Geschichte. Nyarlathotep war der ›allmächtige Sendbote des Satans‹ und der ›Herrscher der Wüste.‹
Als Carnoti mit seiner eingehenden Betrachtung fertig war, erfüllte ihn eine fast hysterische Freude. Er grinste triumphierend den ekelhaften Kopf an; er grinste frohlockend in die gesichtslose Leere.
In seiner Begeisterung achtete er nicht auf das Geflüster der Eingeborenen und auf die furchtsamen Blicke, die sie verstohlen auf die Gottheit warfen. Es wäre jedoch für ihn gescheiter gewesen, diesen Dingen Beachtung zu schenken. Denn diese Männer wußten – wie alle Ägypter –, daß Nyarlathotep der uneingeschränkte Herrscher über das Böse war.
Man hatte vor vielen Jahren nicht umsonst seine Tempel dem Erdboden gleichgemacht, seine Standbilder zerstört und die Verkünder seiner Lehre gekreuzigt. Man hatte aus guten Gründen die Anbetung dieser Gottheit verboten und selbst die Erwähnung seines Namens untersagt. Man hatte ganz bewußt versucht, seine göttlichen Eigenschaften zu ignorieren oder sie bestenfalls einer milder gestimmten Gottheit zuzuschreiben. Heutzutage kann man nur noch in Thoth, Set, Bubastic und Sebek einige Aufzeichnungen über diesen Gott finden. Dort kann man in uralten Chroniken nachlesen, daß Nyarlathotep der Herrscher der Unterwelt und der Schutzpatron der Zauberer und der Schwarzen Kunst war. Einst hatte er die Welt allein regiert und war den Menschen aller Länder unter den verschiedensten Namen bekannt gewesen. Doch dann hatten sich die Zeiten geändert. Die Menschen hatten aufgehört, das Böse anzubeten. Sie hatten fortan das Gute verehrt. Und sie dachten nicht mehr daran, dem schwarzen Gott die grausamen Opfer darzubringen, die er verlangte. Dieser Kult war für die Allgemeinheit vorbei, und alles, was an den finsteren Gott erinnerte, wurde vernichtet. Doch die Legende berichtet,
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