15 Gruselstories
und ging auf den Zelteingang zu. Er schob den Vorhang beiseite, um einen Blick hinauszuwerfen. Zuerst glaubte er, seinen Augen nicht zu trauen, aber dann fluchte er in rasender Wut. Der Zeltplatz war leer. Das Feuer war ausgegangen. Die Männer und die Kamele waren verschwunden. Die vielen Spuren, die der Sand schon fast völlig bedeckt hatte, deuteten auf einen hastigen Aufbruch hin. Diese Schweine hatten ihn hier alleingelassen!
Er war verloren! Diese Erkenntnis traf ihn wie ein Peitschenhieb. Verloren! Die Männer waren verschwunden. Und mit ihnen die gesamten Lebensmittel, die Kamele und die Esel. Er hatte weder Waffen noch Wasser; und er war allein. Er stand vor dem Zelteingang und starrte mit vor Schrecken geweiteten Augen in die öde, einsame Wüste. Der Mond hing wie ein großer silberner Ball am ebenholzschwarzen Himmel. Ein plötzlicher heißer Windstoß fegte über das endlose Sandmeer. Die Oberfläche bewegte sich wie die Wogen des Ozeans. Kleine Sandwellen umspülten seine Füße. Danach herrschte wieder Schweigen. Dieses Schweigen glich einer Grabesstille. Es glich dem ewigen Schweigen der Pyramiden, wo die Mumien in bröckelnden Sarkophagen lagen und mit ihren toten Augen in die ewige Finsternis starrten.
Carnoti kam sich unbeschreiblich klein und verlassen in der Nacht vor; und in seiner Angst glaubte er die geheimen, unheilvollen Mächte zu spüren, die drohend und höhnisch grinsend sein Schicksal an sich rissen. Nyarlathotep! Er wußte von Carnotis Vorhaben, und er wollte sich auf seine Art an ihm rächen.
Aber das war blanker Unsinn. Carnoti riß sich gewaltsam zusammen. Er durfte sich nicht gehenlassen! Er durfte solche absurden Phantasien nicht aufkommen lassen! Denn diese Gedanken waren nichts weiter als die Variation einer Fata Morgana, die unter den gegebenen Umständen nur allzu verständlich war. Aber er durfte die Nerven jetzt nicht verlieren! Er mußte den nackten Tatsachen gefaßt ins Auge blicken. Seine angeheuerten Leute hatten sich mit den Lebensmitteln und den Tieren heimlich aus dem Staube gemacht, weil der Aberglaube, der in ihren primitiven Gemütern nistete, die Überhand gewonnen hatte. Das war, weiß Gott, eine nackte Tatsache, mit der er sich abfinden mußte. Aber der Aberglaube als solcher durfte ihn nicht berühren. Wahrscheinlich würden ihm diese krankhaften Vorstellungen sowieso bei Sonnenaufgang vergehen.
Der Sonnenaufgang! Ein schrecklicher Gedanke befiel ihn – die unbarmherzige Hitze, die sich tagsüber sengend über die Wüste breitete. Um die nächste Oase zu erreichen, würde er ununterbrochen Tag und Nacht laufen müssen. Und zwar müßte er sofort aufbrechen, ehe er durch Hunger und Durst so geschwächt wäre, daß er sich überhaupt nicht mehr vorwärts bewegen könnte. Aber er machte sich nicht die geringsten Illusionen. Sobald er erst einmal das Zelt verlassen hatte, gab es keinen Unterschlupf mehr für ihn. Er war dann der unbarmherzigen Sonne schutzlos ausgesetzt. Er wußte nur zu genau, daß die stechenden, gnadenlosen Sonnenstrahlen schon so manchen zum Wahnsinn getrieben hatten. Es war eine schreckliche Vorstellung, in der sengenden Hitze der Wüste vielleicht ums Leben zu kommen. Aber was blieb ihm weiter übrig? Seine Arbeit war noch nicht vollendet. Außerdem mußte er auf jeden Fall zurück. Er würde dann sofort eine neue Expedition zusammenstellen, um die Gottheit zu bergen. Er mußte einfach zurück. Außerdem wollte Carnoti nicht sterben. Als er aber an den beschwerlichen Marsch dachte, den er vor sich hatte, begannen seine wulstigen Lippen vor Angst zu zittern. Er hatte kein Verlangen danach, ähnliche Qualen wie
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