15 Gruselstories
daß Nyarlathotep einst aus der Wüste gekommen war und sich nach seiner Herrschaft wieder in die Wüste zurückgezogen hätte. Einige Fanatiker, die immer noch an ihn glaubten, hatten dann ihm zu Ehren an verborgenen Plätzen in der Wüste Götzenbilder errichtet. Sie hatten diese Statuen weiterhin angebetet und in wilder Ekstase umtanzt. Die gellenden Angstschreie der Opfer verhallten in der Dunkelheit der Nacht …
Die Legende von Nyarlathotep existierte also immer noch und wurde flüsternd von Generation zu Generation weitererzählt. Die Zeit verging. Im Norden verschwanden allmählich die Eismassen, und Atlantis versank. Fremde Stämme überrannten das Land, doch die Bewohner der Wüste veränderten sich nicht. Sie beobachteten den Bau der Pyramiden mit spöttischen Augen. Wartet nur ab, schien ihr überhebliches Lächeln auszudrücken. Wenn der Tag kommt, wird Nyarlathotep aus der Wüste zurückkehren. Und dann wehe den Ungläubigen in Ägypten und in aller Welt! Dann werden sich die Pyramiden zu Staub verwandeln, und von den Tempeln werden nichts weiter als ein paar Ruinen übrigbleiben. Städte, die im Meer versunken sind, werden wieder auftauchen. Eine Hungersnot wird über das Land kommen, und viele Menschen werden den Seuchen zum Opfer fallen. Die Sternbilder werden sich ändern. Die Erde wird sich auftun, und die Ungeheuer aus der Tiefe werden die Herrschaft übernehmen. Der größte Teil der Menschheit wird dabei zugrunde gehen. Dann weiß die Welt, daß Nyarlathotep zurückgekommen ist! Bald darauf wird er selbst sichtbar sein. Ein dunkler, gesichtsloser Gott in Schwarz wird durch die Wüste wandern. Die einzigen Spuren, die er auf seinem Weg hinterläßt, werden die Toten sein. Denn jeder, der seinen Pfad kreuzt, wird sterben. Es werden nur die wahrhaft Gläubigen übrigbleiben, und die werden ihn und die anderen Mächtigen der Unterwelt willkommen heißen.
Das ist in etwa die Legende, die man sich von Nyarlathotep erzählt. Sie ist älter als sämtliche Geheimnisse Ägyptens, älter als die Geschichte vom Versinken Atlantis – aber sie ist niemals in Vergessenheit geraten. Im Mittelalter hatten die Ritter, die von ihren Kreuzzügen zurückkehrten, die Legende und die Prophezeiungen in Europa verbreitet. Dadurch wurde Nyarlathotep in aller Herren Länder für die Hexen, für die Sendboten Asmodaios und für die Anbeter noch finstererer Götter zum Idol, zum Vertreter Satans auf Erden.
Doch dann wurde es allmählich stiller um Nyarlathotep, und schließlich schien seine Anbetung völlig in Vergessenheit geraten zu sein. Viele der namhaften Ethnologen und Anthropologen wissen überhaupt nichts von dem Gott ohne Gesicht. Dennoch gibt es einige verborgene Götzenbilder, die ihn darstellen, und man munkelt von gewissen Höhlen unter dem Nil und von Geheimgängen unter der neunten Pyramide. Obwohl die geheimen Zeichen und Symbole seiner Anbetung verschwunden sind, haben die Menschen ihn nie vergessen. Die Geschichte war durch die Jahrhunderte hindurch von Mund zu Mund weitererzählt worden, und auch heutzutage leben noch Menschen, die auf den Tag warten.
Es gibt gewisse Punkte in der Wüste, die die Karawanen geflissentlich meiden. Denn Nyarlathotep war der Gott der Wüste, und man tut gut daran, seine früheren Fährten nicht zu kreuzen.
Es war das Wissen um all diese Dinge, weshalb die Eingeborenen so verstört wurden, als sie gerade diese spezielle Gottheit aus dem Sand freischaufelten. Als sie zuerst nur die Krone sahen, hatten sie es mit der Angst zu tun bekommen, die sich beim Anblick des Kopfes ohne Gesichtszüge ins Unermeßliche
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