15 Gruselstories
beruhigte Mrs. Talmadge. Sie tröstete Mrs. Talmadge. Sie beschwichtigte Mrs. Talmadge. Aber für ihre eigene Unruhe und Angst gab es keine Beruhigung, keinen Trost, keine Beschwichtigung.
Als sie sich nach ein paar Minuten wieder unter die Gäste mischten, schienen beide ihr seelisches Gleichgewicht wiedergefunden zu haben. Aber in dem Augenblick, als sie das Wohnzimmer betraten, dröhnte ihnen Mr. Talmadges erregte Stimme entgegen.
»Wenn ich eine kurze Verschnaufpause einlege, dann bedanke ich mich für Aufregungen!« Er leerte sein Glas in einem Zug. »Was soll das bedeuten, wenn ich im Badezimmer in den Spiegel sehe, und diese alte Hexe schneidet hinter meinem Rücken Grimassen?« Er schaute in die Runde, dann lachte er dröhnend. »Was für ein Haus unterhalten Sie hier?« fragte er den Gastgeber.
Er hielt das Ganze für einen Witz, und die anderen schienen ebenfalls seiner Meinung zu sein. Nur der Gastgeber und die Gastgeberin standen erstarrt da und wagten nicht, sich in die Augen zu schauen. Ihr Lächeln war verzerrt und brüchig. Glas ist so zerbrechlich. »Ich glaube kein Wort«, lallte Gwen Hacker. Sie hatte einen oder drei zuviel getrunken. »Ich muß das gleich mal prüfen.« Sie winkte den Gastgebern herzlich zu und verschwand in Richtung Treppe. Er hob ruckartig die Hände. »He! Bleiben Sie hier!«
Aber es war sinnlos. Sie rauschte, oder besser gesagt, sie wankte davon.
Talmadge stieß ihm mit dem Ellenbogen in die Seite. »Aprilscherze, wie? – Na, schön. Aber trotzdem: Was wird hier eigentlich gespielt?« Er begann hilflos irgend etwas Sinnloses zu stammeln. Sein Gehirn arbeitete fieberhaft. Er mußte alles tun, um die Gespräche in Gang zu halten. Sie rückte dicht zu ihm und hörte zu. Sie wollte um alles in der Welt nicht an Gwen Hacker denken, die alleine oben war, in einen Spiegel starrte und wartete –
Die Schreie übertönten die Gespräche. Das war kein Schluchzen und kein Lachen – das waren gellende Schreie.
Er nahm immer zwei Stufen auf einmal, als er die Treppe hinaufraste. Der dicke Mr. Hacker folgte ihm keuchend.
Die anderen Gäste waren plötzlich verstummt und gingen zögernd zur Treppe.
Man konnte die Stufen unter den Füßen knarren hören und das schwere Atmen der Gäste. Aber alles wurde übertönt von den fortgesetzten gellenden Schreien einer Frau, die etwas gesehen oder erlebt haben mußte, was sie schier um den Verstand gebracht hatte. Gwen Hackers Gesicht war verzerrt. Sie hatte keine Kontrolle über ihren Körper, als sie auf den Flur herausstakte und ihrem Mann fast in die Arme sank. Das Licht, das aus dem Badezimmer kam, fiel auf einen Spiegel, der keine Spiegelungen hatte, und auf das Gesicht einer Frau, das keinen Ausdruck hatte.
Sie und er waren an Gwen Hackers Seite. Die Gäste standen dicht gedrängt ein paar Schritte entfernt. Sie brachten die Frau in ihr Schlafzimmer und legten sie mit Mr. Hackers Hilfe auf ihr Bett.
Gwen Hacker war ohnmächtig geworden. Irgend jemand murmelte etwas von einem Arzt, ein anderer meinte, ach nein, sie wird schon wieder zu sich kommen, und wieder ein anderer räusperte sich und sagte, es wäre ohnehin langsam an der Zeit, nach Hause zu gehen.
Zum erstenmal schienen sich alle des alten Hauses und der Dunkelheit, der knackenden Dielen, der klappernden Fenster und der rasselnden Fensterläden bewußt zu werden.
Mit einem Schlage waren alle nüchtern, erschreckt und bestrebt, so schnell wie möglich abzufahren. Hacker beugte sich über seine Frau, rieb ihre Handgelenke und flößte ihr ein paar Schlucke Wasser ein. Sie erwachte langsam wimmernd aus ihrer Ohnmacht. Währenddessen halfen die Gastgeber ihren Gästen schweigend in die Mäntel und ließen die höflichen Entschuldigungen, die
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