15 Gruselstories
den Hausangestellten und mit Doktor Turner, der sie häufig aufsuchte. Sie schauten Laura eigenartig an, wenn sie mit ihr sprachen.
Wahrscheinlich dachten sie, daß Laura langsam alt würde. Aber sie wurde nicht alt. Die Spiegel logen nicht. Die falschen Zähne und die Perücke benutzte sie nur, um den anderen – den Außenseitern – einen Gefallen zu tun. Sie brauchte diese Dinge wirklich nicht, denn die Spiegel sagten ihr, daß sie unverändert schön wäre. Obwohl die Spiegel jetzt wirklich zu ihr sprachen, sagte sie selbst niemals ein Wort. Sie nickte nur und wiegte sich, wenn sie, in eine Wolke von Parfüm eingehüllt, vor ihren Spiegeln saß. Sie strich sich mit der Hand über den Hals und lauschte hingebungsvoll den Worten der Spiegel, die sagten, wie schön sie wäre und welche Triumphe sie erleben könnte, wenn sie ihre Schönheit an die Welt verschwenden würde. Aber das kam gar nicht in Frage. Sie würde nicht weggehen. Niemals. Sie und die Spiegel sollten immer beisammen sein.
Dann kam der Tag, an dem sie sie fortschaffen wollten. Sie wagten tatsächlich, nach ihr zu greifen – nach ihr, Laura Bellman, der schönsten Frau der Welt! War es ein Wunder, daß sie sich dagegen wehrte und wild um sich schlug? Konnte sie vielleicht etwas dafür, daß dabei einer der Diener einen solchen Schlag erhielt, daß er der Länge nach in einen ihrer herrlichen Spiegel fiel, sich den Schädel zertrümmerte und starb? Wenn er nicht gestorben wäre, hätte sie ihn entlassen, denn sein häßliches Blut befleckte das Spiegelbild ihrer perfekten Schönheit.
Natürlich war das alles nicht ihre Schuld, sondern nur ein dummer, unangenehmer Zwischenfall. Das mußte Dr. Turner auch dem Polizeirichter erklärt haben, denn Laura brauchte mit dem Richter gar nicht selber zu sprechen und sie brauchte auch nicht das Haus zu verlassen. Aber sie schlossen die Tür zu ihrem Zimmer ab und nahmen ihr alle Spiegel weg.
Sie nahmen ihr alle Spiegel weg! Sie schlossen sie ein und ließen ein dürres, verhutzeltes Weib alleine, dem kein Spiegelbild entgegenlächelte. In dem Augenblick, als sie die Spiegel entfernten, machten sie sie alt. Sie war alt und häßlich und voller Angst.
Sie weinte die ganze Nacht. Sie schluchzte und stolperte mit vor Tränen erblindeten Augen durch das Zimmer.
Sie preßte ihre heiße, faltige Stirn gegen das kühle Fensterglas und erstarrte. Mit einem Schlag wußte sie, daß sie alt war und daß sie nichts retten könnte.
Das Licht war hinter ihr, und das Fensterglas – wurde zum Spiegel! Mit vor Schrecken geweiteten Augen starrte sie auf die aufgetakelte alte Hexe, auf die Mumie, die gerade von einem Verrückten einbalsamiert worden zu sein schien.
Alles begann sich zu drehen. Sie wußte, daß das ihr Haus war, in dem sie jeden Winkel kannte. Sie wußte, daß das ihr Zimmer war, in dem sie schon immer und ewig lebte. Aber das – dieser Alptraum – konnte nie und nimmer ihr Gesicht sein! Ein Spiegel könnte ihr jetzt die Wahrheit sagen. Aber für sie würde es nie wieder einen Spiegel geben! Nachdem sie sekundenlang in ihr wahres Gesicht gestarrt hatte, veränderte sich die glänzende Fensterscheibe gnädig. Ihr lächelte wieder die junge, unvergänglich schöne Laura Bellman entgegen. Sie richtete sich erleichtert auf, trat einen Schritt zurück und vollführte einen Freudentanz.
»Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land?«
Sie tanzte und tanzte, und ihre welken Lippen umspielte ein selbstbewußtes Lächeln. Sie tanzte auf die Fensterscheibe zu und halb in sie hinein. Sie tanzte, bis die spitzen Glassplitter ihre dürre Kehle durchschnitten.
So starb sie, und so fanden sie die anderen. Der Arzt und die Hausangestellten eilten herbei, aber sie konnten Laura nicht mehr helfen. Der
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