15 Gruselstories
hastig gemurmelten Gute-Nacht-Wünsche und die Phrase: ›Es war ein reizender Abend, meine Lieben‹ über sich ergehen.
Die Nacht verschluckte die Teters, die Valliants und die Talmadges. Sie und er kehrten in das Schlafzimmer, in dem die Hackers waren, zurück. Es war auf dem Flur zu dunkel und im Schlafzimmer zu hell.
Gwen Hacker wimmerte immer noch leise. Dann setzte sie sich mit einem Ruck auf und begann zu sprechen. Zu ihrem Mann und zu ihnen.
»Ich habe sie gesehen«, begann sie zögernd, schaute ihren Mann an und fuhr dann hastig fort: »Glaub ja nicht, daß ich verrückt bin – ich habe sie gesehen! Sie stand auf Zehenspitzen hinter mir und starrte in den Spiegel. Sie hatte das gleiche blaue Band im Haar, das sie an dem Tag getragen hatte, als sie –«
»Bitte, Gwen«, sagte Hacker beschwörend.
Aber sie ließ sich nicht beirren. »Wenn ich es dir sage: Ich habe sie gesehen! Mary Lou! Sie hat mich im Spiegel angestarrt und eine Grimasse geschnitten – und sie ist tot. Du weißt, daß sie tot ist. Sie ist vor einem Jahr verschwunden, und keiner hat ihre Leiche gefunden –«
»Mary Lou Dempster!« Hacker war ein fetter Mann mit einem Doppelkinn, das jetzt vor Erregung zitterte.
Die Frau redete weiter. »Du weißt, daß sie hier oben gespielt hat, obwohl es ihr Wilma Dempster ausdrücklich verboten hatte. Mary Lou wußte alles über das Haus, aber sie hat trotzdem – o Gott – ihr Gesicht …«
Sie begann haltlos zu schluchzen. Mr. Hacker tätschelte beruhigend ihre Schultern, aber er sah aus, als könnte er selbst ein beruhigendes Schulter-Tätscheln gebrauchen. Doch keiner fühlte sich dazu verpflichtet. Sie und er standen da und warteten; warteten auf den Rest.
»Sag es ihnen«, schluchzte Mrs. Hacker. »Sage ihnen die Wahrheit.«
»Wenn du meinst … Aber ich sollte dich lieber nach Hause bringen.«
»Ich kann warten. Ich will, daß du es ihnen erzählst. Du mußt es jetzt.«
Hacker ließ sich schwer auf das Bett fallen. Seine Frau lehnte sich an seine Schulter. Er und sie schauten die beiden unverwandt an.
»Ich weiß nicht, wie ich anfangen soll, wie ich es erklären soll«, stöhnte der dicke Mr. Hacker. »Wahrscheinlich ist es meine Schuld – ja, ganz sicher sogar –, aber ich wußte es nicht. Dieses ganze Gerede über verhexte Häuser – kein Mensch glaubt mehr an Gespenster. Das einzige, was es zur Folge hat, ist, daß der Wert des betreffenden Hauses sinkt. Darum habe ich nichts gesagt. Können Sie mir das zum Vorwurf machen?«
»Ich habe ihr Gesicht gesehen«, flüsterte Mrs. Hacker.
»Nun ja, ich weiß. Und ich hätte es Ihnen sagen sollen. Das von dem Haus, meine ich. Warum es seit zwanzig Jahren nicht vermietet worden ist. Das ist in der Gegend hier eine alte Geschichte, und Sie hätten sie früher oder später doch erfahren. Ich möchte es jedenfalls annehmen.«
»Nun komm schon zur Sache«, drängte Mrs. Hacker. Sie war auf einmal die Stärkere, und er, mit seinem bebenden Doppelkinn, war der Schwache.
Der Gastgeber und die Gastgeberin standen noch immer und hingen an Mr. Hackers Lippen. Sie wagten sich nicht zu rühren und warteten gebannt auf die Eröffnungen.
Es war das Bellman-Haus, in dem sie lebten; das Haus, das Job Bellman in den sechziger Jahren für seine junge Frau gebaut hatte, das Haus, in dem seine junge Frau Laura das Leben geschenkt und dabei selbst den Tod gefunden hatte. In den siebziger Jahren, als Jobs Tochter noch ein Kind war, hatte er von früh bis spät geschuftet, und in den achtziger Jahren harte er sich selbstzufrieden zur Ruhe gesetzt. Inzwischen war Laura Bellman herangewachsen und zur Schönsten im ganzen Land geworden – zur Schönsten der ganzen Welt, behaupteten einige, aber in jenen Tagen waren die Männer verschwenderischer mit ihren Komplimenten und Schmeicheleien als
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