15 Gruselstories
sind alle überzeugt davon, die Stimmen zu hören und die Dämonen zu sehen. Aber sie gehören alle – ohne Ausnahme – in eine Anstalt.«
Das war grausam von mir, aber es verfehlte seine Wirkung nicht. Er erhob sich und schaute mich fest an.
»Ich weiß selber, daß das eine verrückte Theorie ist«, sagte er.
»Aber vergessen Sie nicht, daß alle Theorien über Jack the Ripper verrückt sind. Die Begründungen, weshalb er ein Arzt oder ein Wahnsinniger oder eine Frau gewesen sein soll, sind fadenscheinig genug. Warum also sollte meine Theorie unglaubwürdiger sein als die anderen?«
Ich hob die Schultern. »Ganz einfach darum, weil die Menschen älter werden«, erwiderte ich. »Auch Ärzte, Verrückte und Frauen werden älter.«
»Und was ist mit Zauberern?«
»Zauberern?«
»Ja, Zauberer. Oder Hexenmeister, wenn Ihnen das besser gefällt, oder Wesen, die die Schwarze Magie ausüben.«
»Worauf wollen Sie hinaus?«
»Im Zusammenhang mit den Morden habe ich mich auch eingehend mit den Daten befaßt, an denen sie verübt wurden. Dabei habe ich festgestellt, daß sie einem gewissen Rhythmus unterworfen sind, einem Rhythmus, der im Zusammenhang mit dem Sonnen- und Mondsystem und den Sternbildern steht. Ich bin zu der Überzeugung gekommen, daß die Morde eine astrologische Bedeutung haben.«
Dieser Mann war verrückt. Darüber konnte kein Zweifel bestehen. Aber ich hörte ihm weiter zu.
»Nehmen Sie einmal an, daß Jack the Ripper nicht nur aus Freude am Töten mordete. Vielleicht wollte er – ein Opfer darbringen …«
»Was für ein Opfer?«
Sir Guy zuckte die Achseln. »Man sagt, daß die dunklen Mächte dem eine Gunst erweisen, der ihnen ein Blutopfer darbringt. Und wenn das Blutopfer zur rechten Zeit – wenn der Mond und die Sterne in einem gewissen Verhältnis zueinander stehen – und mit der rechten Zeremonie dargebracht wird, gewähren die schwarzen Götter die Gnade der Jugend. Der ewigen Jugend.«
»Das ist doch dummes Zeug!«
»Nein. Das erklärt das Phänomen Jack the Ripper!«
Ich stand auf. »Das ist zweifellos die interessanteste Theorie, die ich je gehört habe«, sagte ich. »Aber können Sie mir erklären, weshalb Sie zu mir gekommen sind und mir die Geschichte erzählt haben, Sir Guy? Ich bin weder für Zauberkräfte zuständig noch bin ich ein Kriminologe. Ich bin ein praktizierender Psychiater. Ich wüßte nicht, was ich für Sie tun könnte –«
Sir Guy lächelte.
»Aber Ihr Interesse ist geweckt, nicht wahr?«
»Nun ja – schon – aber …«
»Ich wollte mich erst vergewissern, ob Sie interessiert sind, ehe ich Ihnen meinen Plan erzähle.«
»Und – was schwebt Ihnen vor?«
Sir Guy warf mir einen langen Blick zu, ehe er feierlich verkündete: »Mr. Carmody – Sie und ich werden Jack the Ripper fassen.«
So kam diese Geschichte ins Rollen.
Ich hielt es für notwendig, dieses erste Gespräch mit Sir Guy Hollis in allen Einzelheiten wiederzugeben. Wenn Ihnen auch manches langweilig vorgekommen sein mag, so trägt meine ausführliche Schilderung doch dazu bei, daß Sie sich ein genaues Bild von Sir Guys Charakter und seinen Ansichten machen können. Und im Hinblick auf das weitere Geschehen …
Aber das werden Sie selbst sehen.
Sir Guys Plan war sehr simpel.
Bei genauer Betrachtung war es noch gar kein fest umrissener Plan. Es war mehr ein Versuch aufs Geratewohl.
»Ich weiß, mit welchen Leuten Sie verkehren«, sagte er. »Ich habe mich vorher genau erkundigt. Und deshalb bin ich zu Ihnen gekommen. Ich glaube, daß Sie der geeignete Mann für meine Zwecke sind. Ihr Bekanntenkreis besteht zum größten Teil aus Schriftstellern, Malern und Poeten, mit einem Wort: den sogenannten Intellektuellen. Die hundertzehnprozentigen
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