15 Gruselstories
erzählte, was ich Ihnen jetzt sage, stimmte er mir zu. Das tun sie alle. Sie sollten auch einwilligen, mein Freund. Aber ich bin sicher, daß sie es tun werden. Stellen Sie sich nur einmal vor: in ihren blassen weißen Händen zu ruhen und den Blick nie von ihr abwenden zu müssen. Zu sterben und dabei ihre Schönheit vor Augen zu haben! Sie werden ihr das Opfer bringen, nicht wahr? Keine Menschenseele wird je etwas davon erfahren. Niemand wird auch nur den leisesten Verdacht schöpfen. Sie wollen Johannes der Täufer sein, nicht wahr? Sie wollen, daß ich es jetzt gleich tue, nicht wahr? Sie wollen, daß ich –«
Hypnose. Also doch Hypnose! Bertrand versuchte vergeblich, sich von der Stelle zu rühren, als der Alte eindringlich auf ihn einredete und gleichzeitig ihre starren Augen bittend auf ihn herabschauten.
Der kalte Stahl des Messers liebkoste Bertrands Kehle. Die Klinge begann, wehzutun. Durch einen grauen Nebel drangen Worte an sein Ohr, und durch einen scharlachroten Nebel hindurch starrte er in ihr Gesicht. Sie war eine Hexe, die Opfer forderte. Wie würde es sein, in ihren Armen zu ruhen, ihr nahe zu sein und sie so anzubeten, wie es schon andere vor ihm getan hatten? Wäre das nicht ein Tod, der wie für einen Dichter geschaffen war? Er könnte sie anschauen, bis er in ewiger Dunkelheit versunken war. Sein Kopf würde in wenigen Sekunden in der Silberschale ruhen, die ihre schmalen Hände umschlossen. Was hätte es für einen Sinn, weiterzuleben, wenn er sie doch niemals besitzen konnte? Warum sollte er also nicht im Bewußtsein ihrer Schönheit sterben? Es war so einfach. Ihr Mann kannte sich aus, und er war so nett zu Bertrand. So nett. Das Messer tat weh. Bertrand riß die Hände hoch. Er war plötzlich von panischer Angst erfüllt. Er schlug wild um sich und rang mit dem kleinen, schreienden, verrückten Mann. Das Messer fiel klirrend auf die Erde. Die beiden rangen keuchend. Als Bertrand wie rasend in das aufgeschwemmte Gesicht des anderen schlug und ihm fast die glasigen Augen auskratzte, fielen beide zu Boden.
Irgend etwas in Bertrands Innerem war wieder durchgebrochen. Vielleicht seine Jugend, vielleicht sein Wille zu leben oder vielleicht ganz einfach der gesunde Menschenverstand. Seine Finger preßten sich zusammen, als er den Kopf des Grauhaarigen auf den Boden schlug. Seine Hände umklammerten in rasender Wut die Kehle des anderen und drückten sie langsam zu.
Dann hörte seine Raserei plötzlich auf. Der Griff seiner Hände lockerte sich, und der Kopf des Verrückten fiel leblos zur Seite. Der fette Jacquelin war tot!
Bertrand erhob sich taumelnd und warf einen Blick auf seine teilnahmslose Göttin. Ihr Lächeln war unverändert. Als er auf ihre teuflische Schönheit starrte, begann seine Seele erneut ins Wanken zu geraten. Aber als seine Hand in die Manteltasche fuhr, kehrten sein Mut und seine Entschlußkraft zurück.
Er schleuderte ihr das zerknitterte Manuskript vor die Füße – das vollendete Gedicht an Salome.
Sehr langsam holte er die Streichhölzer hervor.
Er nahm das Manuskript wieder in die Hand und zündete es an. Als es brannte, hielt er es an ihre flammenden Haare. Und während sich Feuer mit Feuer vermischte, hörte sie nicht auf, Bertrand in einer Art anzustarren, die er immer noch nicht verstanden hatte; in der schrecklichen, durchdringenden Art, mit der sie ihn und all die anderen Männer verhext und ins Verderben gestürzt hatte.
Und noch immer hielt sie ihn in ihrem Bann. Er nahm Salome in seine Arme. Er preßte die brennende Salome, die unter den Flammen wie ein echtes Lebewesen zuckte und sich wand, an sich. Er hielt sie einen Augenblick in den Armen und stellte sie dann, als die Flammen um sich griffen, auf ihren Platz zurück. Sie
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