15 Gruselstories
verbrannte unheimlich schnell.
Hexen wurden schon immer verbrannt …
Und wie bei allen Hexen, so änderte sich auch ihr Gesichtsausdruck im Sterben. Er schmolz zu einer abscheulichen Fratze. Dann war ihr Gesicht nur noch ein gelber, unförmiger Wachsklumpen, aus dem ihre Glasaugen wie zwei blaue Tränen fielen. Ihr Körper wand sich im Todeskampf, als ihre wächsernen Gliedmaßen dahinschmolzen. Sie wirkte so echt und wirklich und gepeinigt. Ihre Qual war genauso groß wie die Bertrands, der ihren Todeskampf verfolgte.
Dann war alles vorüber.
Bertrand blickte versonnen auf den Mann, der still und tot auf dem Boden lag, während sich das Feuer langsam ausbreitete. In Kürze würde es das ganze Museum ausgelöscht haben. An keinem Mann würde sich die grauenhafte Wiederholung eines früheren Verbrechens vollziehen. Das Feuer würde dem allem ein Ende bereiten.
Bertrands Blick wanderte wieder zu dem zischenden und blubbernden gelben Wachshaufen, der noch vor wenigen Minuten Salome dargestellt hatte.
Er erstarrte.
Dann betete er, daß sich das Feuer rasch ausbreiten möge. Das Grauen saß ihm im Nacken, denn auf einmal verstand er alles. Das Geheimnisvolle, das von ihr ausgegangen war, das unheimlich Rätselhafte, das jeden in ihren Bann gezogen hatte, war plötzlich kein Geheimnis mehr für ihn.
Der wahnsinnige Mörder, der jetzt tot am Boden lag, hatte die Figur nach dem toten Körper seiner Frau geformt. Das hatte er Bertrand erzählt. Aber Bertrand sah jetzt mehr. Und er konnte sich die böse, verhängnisvolle Macht erklären. Von dem toten Körper einer Hexe geht eine schädliche Ausdünstung aus …
Bertrand wandte sich ab und rannte schluchzend aus der verwüsteten Halle, die jetzt in hellen Flammen stand. Er flüchtete vor dem Anblick des gelben, blubbernden, zerschmolzenen Wachshaufens, aus dem das verkohlte Skelett einer Frau, das dem Wachs Halt gegeben hatte, herausragte.
Der zuständige Geist
Mr. Ronald Cavendish schob den vollbeladenen Teewagen in das Eßzimmer. Er rückte noch ein wenig die Teller und Bestecke auf dem Tisch zurecht, dann drehte er sich um und betrachtete sich eingehend im Spiegel.
Was er sah, mißfiel ihm in keiner Weise. Er war – und sein Spiegelbild bestätigte es ihm – ein Gentleman der alten Schule. Ein Zyniker konnte vielleicht sagen, daß er wie ein Bilderbuch-Butler aus einem Bühnenstück wirkte, aber Mr. Cavendish hielt herzlich wenig von Zynikern.
Außerdem sollte sein altes, gediegenes Haus aus rotbraunem Sandstein, die wuchtigen Mahagonimöbel, das schwere Tafelsilber, kurzum, das offenbare Vorhandensein eines beachtlichen Bankvermögens jeden Zyniker eines Besseren belehren. Und das galt auch für zynische Verwandte!
Mr. Cavendish verzog sein Gesicht im Spiegel zu einer Grimasse. Es war alles andere als eine liebenswürdige Grimasse, und Mr. Cavendish wünschte nur, daß seine Verwandten sie sehen könnten. Aber er konnte sich gedulden. Sie würden sie noch früh genug am Eßtisch zu sehen bekommen.
Jetzt war es sechs Uhr. Alles war vorbereitet. Die lieben Verwandten konnten kommen. Er hatte an alles gedacht.
An alles gedacht? Mr. Cavendish schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn und ging mit eiligen Schritten in den Salon. Etwas hätte er doch beinahe vergessen!
Er schlug den dicken Teppich zurück, kniete sich auf den blanken Fußboden und wischte mit seinem seidenen Taschentuch die blauen Kreidezeichen fort. Niemals würde er sie diese fünfwinklige Figur sehen lassen.
»Das wär’s«, murmelte er und erhob sich etwas mühsam. Er mußte erst wieder seine Kniegelenke zurechtbiegen, denn er war bald sechzig Jahre
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