15 Gruselstories
sich ein unbestimmter Argwohn ein, den er aber in seinem unwiderstehlichen Verlangen, Salome zu sehen, unterdrückte.
Die Luft in der Halle war schwüler und drückender als je zuvor. Sie schien mit der Vorahnung auf eine bevorstehende Katastrophe angefüllt zu sein. Die vielen Mörder starrten Bertrand verwundert und leicht spöttisch an, als er durch die Halle stürmte.
Bertroux war nicht da.
Bertrand blieb keuchend vor ihr stehen. Ihre Schönheit war noch nie so strahlend und aufreizend wie heute gewesen. In dem herrschenden Dämmerlicht hatte Bertrand das Gefühl, daß sie sich bewege und voller Leben sei. Ihre Augen funkelten einladend, und ihre glänzenden, halbgeöffneten Lippen schimmerten verheißungsvoll.
Bertrand beugte sich vor, um ihrem unergründlichen, zeitlosen, bösen Gesicht nahe zu sein. Er starrte sie atemlos an.
Irgend etwas an ihrem wissenden, zufriedenen Lächeln zwang ihn, hinunterzuschauen; hinunterzuschauen auf die silberne Schale, in der das abgeschlagene Haupt Johannes des Täufers ruhte. Die starren, weitaufgerissenen Augen glotzten ihn an.
Es war der Kopf von Oberst Bertroux!
Nach dem ersten Schock schaute Bertrand abwechselnd auf das spöttische Lächeln Salomes und auf das Blut, das um den abgeschlagenen Kopf herum eine Lache gebildet hatte. Und ihm fiel es wie Schuppen von den Augen.
Das war wahrlich realistische Kunst! Der erste Kopf vor einem Monat, der nächste in der vergangenen Woche und jetzt der von Bertroux, der nicht widerstehen konnte, ihrem Ruf zu folgen.
Bertrand fand jetzt einen Zusammenhang zwischen den jungen Männern, die es immer wieder magisch anzog, ihre Schönheit zu bewundern, und den Zeitungsberichten von Morden, bei denen die Opfer zerstückelt wurden. Die schöne Mörderin, die Hexe, die ihre Liebhaber enthauptet hatte, um sie ihren Göttern zum Opfer zu bringen, stand in einem verlassenen Wachsfigurenkabinett und verlangte nach immer neuen Opfern! Wie oft mochte im Laufe der Zeit der Kopf ausgewechselt worden sein?
Bertrand hatte nicht bemerkt, daß sich der kleine grauhaarige Mann an ihn herangeschlichen hatte. In seinen Augen funkelte ein unheimliches Feuer. Seine Hand umklammerte ein Operationsmesser. Er lächelte sie an, als er murmelte:
»Warum nicht? Sie lieben sie. Ich liebe sie. Sie war nicht so wie andere Frauen – sie war eine Hexe. O ja, sie hat zu Lebzeiten getötet, denn sie liebte das Blut der Männer und den Blick ihrer gebrochenen Augen, die dazu verdammt waren, für alle Zeiten ihre Schönheit anzubeten. Wir haben gemeinsam ihrer Göttin Hekate gedient und sie angebetet. Dann haben sie meine Frau enthauptet. Ich habe ihre Leiche gestohlen, um ihr Bildnis der Nachwelt zu erhalten. Ich wurde ihr Priester. Männer kamen und begehrten sie. Ich habe diesen Männern das geschenkt, was ich Ihnen jetzt schenke. Weil die Männer sie liebten, habe ich ihnen den Wunsch erfüllt, der in meiner Macht stand. Ich schenkte ihnen die Möglichkeit, ihre gepeinigten Häupter in ihren Händen ruhen zu lassen. Es mögen nur Wachshände sein, aber sie sind von ihrem Geist beseelt. Sie haben alle die Nähe ihres Geistes gespürt; deshalb kamen sie auch und beteten sie an. Mir erscheint ihr Geist jede Nacht und bittet mich, neue Liebhaber herbeizuschaffen. Wir, sie und ich, sind viele Jahre zusammen herumgereist, und jetzt sind wir nach Paris zurückgekehrt, um neue Anbeter zu finden. Die Köpfe müssen in ihren Händen liegen. Sie müssen unverwandt und voller Liebe in ihr Gesicht starren. Sobald sie eines Gesichtes überdrüssig wird, verschaffe ich ihr einen neuen Bewunderer.
Als der Oberst heute morgen kam und ich ihm das
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