15 Gruselstories
Ruhe zu setzen und deinen Lebensabend zu genießen. Ich würde vorschlagen, daß du deine Generalvollmacht auf jemand anders überträgst. Auf mich, zum Beispiel. Ich kann mühelos deine Interessen weiterhin vertreten. Du ruhst dich aus und tust nur noch das, was dir Freude macht. Ich meine das ernst, Ronald. Ich bin dabei, dir ein faires Angebot zu machen. Übergib deine Vollmachten und lebe so, wie es dir paßt. Von uns aus kannst du dann deine Geister vierundzwanzig Stunden am Tag herbeirufen. Wenn du dich allerdings nicht zu diesem Schritt entschließen kannst –«
Jasper rülpste erneut und fuhr dann mit einem drohenden Unterton in der Stimme fort: »– dann bleibt uns keine andere Wahl … Dann sind wir leider gezwungen, einen Psychiater einzuschalten. Und was das bedeutet, ist dir ja wohl klar. Wenn ein Psychiater nur das hört, was wir heute gehört haben, schreibt er im Handumdrehen die Überweisung für eine Anstalt aus. Habe ich nicht recht, Leute?«
Als er beifallheischend in die Runde blickte, stellte er fest, daß alle mehr oder minder am Einschlummern waren. »Es ist hier im Zimmer zu heiß«, murmelte er. »Kannst du das Fenster öffnen?«
»Sofort«, nickte Mr. Cavendish.
Jasper fummelte an den Knöpfen seiner Weste herum. Er lächelte entschuldigend. »Ich glaube, die Soße war zu schwer für mich … mein Arzt sagt auch immer …« Er gähnte und räkelte sich auf seinem Stuhl. Ehe ihn der Schlaf überwältigte, brachte er noch krächzend hervor: »Wie lautet deine Antwort?«
Mr. Cavendish erhob sich. Er beugte sich vor und sprach sehr laut, als wolle er seine Gäste aufwecken und sicher sein, daß sie ihn verstanden.
»Meine Antwort darauf«, sagte er, »ist nein. Nein und nochmals nein! Keine Vollmacht, keinen Psychiater, kein Irrenhaus! Hört ihr das, meine liebe Familie? Das war ein Abschiedsessen. Ich habe mein ganzes Vermögen flüssig gemacht und werde noch heute nacht nach Tibet fliegen, um mein Studium am Okkultismus dort fortzusetzen. Ja«, fuhr er fort, »das ist ein Abschied. Ein Abschied für lange Zeit – aber ich sehe, daß ihr mich schon verlassen habt.«
Das hatten sie in der Tat. Sie waren auf ihren Stühlen zusammengesunken und erweckten nicht mehr den Eindruck von Schlafenden. Sie starrten mit glasigen Augen auf die abgeknabberten Knochen der Hühnchen. Die ganze Familie war mausetot.
Mr. Cavendish blickte von einem zum anderen und schauderte leicht. Er betete, daß kein Medium je auf den unglückseligen Gedanken kommen möge, sie zu erwecken.
Dann ging er um den Tisch herum und schaute auf die Uhr. Er stellte fest, daß ihm nur noch eine knappe Stunde blieb, bis er auf dem Flugplatz sein mußte. Er öffnete eine schmale Seitentür und zerrte einen prallgefüllten Koffer hervor.
Das wäre geschafft! Er war jetzt reisefertig.
Dann trat er an den Tisch zurück und beugte sich über die Kerzen. »Aus das Licht«, sagte er.
Dunkelheit umgab Mr. Cavendish, aber er fürchtete sich nicht. Einige seiner besten Freunde waren in der Finsternis. Unter diesen Umständen hatte er schon einige sehr nette Leute getroffen. Dell hatte Madame Pompadour erwähnt. Was das schon war! Als ob er nicht auch Lola Montez, Jeanne d’Arc und die schöne Helena kennen würde! Reizende Damen!
Damen . Das erinnerte ihn an etwas. Er konnte nicht wegfahren, ohne sich von einem besonderen Geist zu verabschieden, dem zuständigen Geist! Er kicherte. Sie war wahrlich der zuständige Geist für den heutigen Abend gewesen. Ihr hatte er das Gelingen seines Planes zu verdanken.
Es war an der Zeit, sich für die Hühnchen und die Zubereitung der köstlichen Soße zu bedanken. Vielleicht hantierte sie noch in der Küche herum.
Es war ein genialer Einfall von ihm gewesen,
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