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15 Gruselstories

15 Gruselstories

Titel: 15 Gruselstories Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Bloch
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einen Le­der­gür­tel, wenn er auf sie los­ging …«
    »Ich weiß, ich weiß. Manch­mal glaub­te ich, daß John nie über den Schock hin­weg­kom­men wür­de, den er beim To­de sei­ner Frau er­lit­ten hat. Des­halb war ich auch so froh, als Sie ka­men, mei­ne lie­be Miss Pall. Ich hoff­te, daß sich durch Ih­ren güns­ti­gen Ein­fluß al­les än­dern wür­de.«
    »Ich ha­be al­les ver­sucht«, wim­mer­te Miss Pall. »Sie wis­sen, daß ich al­les ver­sucht ha­be. Ich ha­be in die­sen zwei Jah­ren nie­mals mei­ne Hand ge­gen das Kind er­ho­ben, ob­wohl mir Ihr Bru­der so oft be­foh­len hat, Ir­ma zu be­stra­fen. ›Ver­dre­schen Sie die klei­ne He­xe‹, sag­te er im­mer, ›sie braucht wei­ter nichts als ei­ne an­stän­di­ge Tracht Prü­gel.‹ Aber Ir­ma ver­steck­te sich bei sei­nen Wor­ten hin­ter mei­nem Rücken und bat mich flüs­ternd um Schutz. Aber sie wein­te nicht, Mr. Stee­ver. Ich ha­be sie in den bei­den Jah­ren nicht ein ein­zi­ges Mal wei­nen se­hen.«
    Sam Stee­ver fing an, sich ein we­nig zu lang­wei­len, und merk­te, daß er ge­reizt wur­de. Er wünsch­te, daß die­se al­te Hen­ne end­lich mit ih­rer Ge­schich­te fer­tig wür­de. Dar­um lä­chel­te er ho­nig­süß und frag­te: »Al­les schön und gut, lie­be Miss Pall, aber was macht Ih­nen denn ei­gent­lich Kum­mer?«
    Miss Pall fuhr un­be­irrt fort:
    »Als ich dort ein­zog, war al­les in bes­ter Ord­nung. Wir ka­men präch­tig mit­ein­an­der aus. Ich woll­te Ir­ma das Le­sen bei­brin­gen, aber ich stell­te zu mei­ner Ver­blüf­fung fest, daß sie es schon be­herrsch­te. Ihr Bru­der be­haup­te­te, er hät­te es ihr nicht bei­ge­bracht; aber es steht fest, daß sie stun­den­lang zu­sam­men­ge­rollt auf dem So­fa lag und ein Buch vor der Na­se hat­te. ›Sie ist ge­nau wie sie‹, pfleg­te er mür­risch zu sa­gen. ›Ty­pisch, daß die­se un­na­tür­li­che klei­ne He­xe nicht mit den an­de­ren Kin­dern spielt. Sie ist und bleibt eben ei­ne He­xe.‹ In dem Stil re­de­te er im­mer, Mr. Stee­ver. Als wä­re Ir­ma so et­was wie ein – ein Un­ge­heu­er. Da­bei ist sie so süß und lieb und ru­hig und hübsch!
    Ist es viel­leicht ein Wun­der, daß sie aufs Le­sen ver­fal­len war? Ich war als klei­nes Mäd­chen eben­so, weil – aber das tut nichts zur Sa­che.
    Trotz­dem glaub­te ich mei­nen Au­gen nicht zu trau­en, als ich ei­nes Ta­ges da­zu kam, wie sie in die ›En­cy­clo­pe­dia Bri­tan­ni­ca‹ ver­tieft war. ›Was liest du denn da, Ir­ma?‹ frag­te ich sie. Sie zeig­te es mir. Es war ei­ne Ab­hand­lung über He­xen­kraft.
    Se­hen sie jetzt, wel­che krank­haf­ten Vor­stel­lun­gen Ihr Bru­der in ih­rem klei­nen Kopf er­weckt hat? Ich tat al­les, was in mei­nen Kräf­ten stand. Ich kauf­te ihr Spiel­zeug – sie hat­te nichts, ab­so­lut nichts, nicht ein­mal ei­ne Pup­pe. Sie wuß­te gar nicht, was spie­len ist. Ich ver­such­te sie mit den Kin­dern aus der Nach­bar­schaft zu­sam­men­zu­brin­gen; aber das hat­te über­haupt kei­nen Zweck. Die Kin­der ver­stan­den Ir­ma nicht, und sie wuß­te nichts mit den an­de­ren Kin­dern an­zu­fan­gen. Es gab im­mer­zu Streit. Kin­der kön­nen so grau­sam und so ge­dan­ken­los sein. Ihr Va­ter wei­ger­te sich, sie in ei­ne öf­fent­li­che Schu­le zu schi­cken. Ich soll­te sie un­ter­rich­ten –
    Ich kauf­te ihr dann ei­ne Knet­mas­se zum Mo­del­lie­ren. Das ge­fiel ihr. Sie konn­te Stun­den da­mit zu­brin­gen, nichts wei­ter als Ge­sich­ter zu for­men. Für ih­re sechs Jah­re ent­wi­ckel­te sie da­bei ein be­acht­li­ches Ta­lent.
    Wir mach­ten zu­sam­men klei­ne Pup­pen, und ich näh­te dann Klei­der für sie.
    Glau­ben Sie mir, Mr. Stee­ver, das ers­te Jahr war aus­ge­spro­chen glück­lich. Ganz be­son­ders schön wa­ren na­tür­lich die Mo­na­te, als Ihr Bru­der in Süd­ame­ri­ka war. Aber als er dann in die­sem Jahr zu­rück­kam – du mein lie­ber Gott, ich brin­ge es kaum übers Herz, dar­über zu spre­chen!«
    »Bit­te«, sag­te Sam Stee­ver, »Sie müs­sen das ver­ste­hen. John ist al­les an­de­re als ein glück­li­cher Mensch. Der Ver­lust sei­ner Frau, der Rück­gang sei­nes Im­port­ge­schäf­tes und dann sein Trin­ken – aber was sa­ge ich Ih­nen da?

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