15 Gruselstories
sich wieder laut und vernehmlich.
Mr. Cavendish servierte lächelnd den Kaffee. »Es stimmt, daß ich nach Graces Hinscheiden zu einem Medium gegangen bin. Ihr wißt das alle ganz genau. Deshalb brauche ich auch eurem Gedächtnis nicht nachzuhelfen und euch an das Indianergeheul zu erinnern, das ihr veranstaltet habt, als ihr davon hörtet. Aber ihr habt euch ganz unnötig aufgeregt, denn schon nach ein paar Besuchen machte ich eine höchst erfreuliche Entdeckung. Ich fand heraus, daß ich gar kein Medium brauchte, um mich mit den Geistern der Toten in Verbindung zu setzen. Seit diesem Tag mache ich meine Versuche und Nachforschungen alleine.
Und ich wage von mir zu behaupten, daß ich weiter vorgedrungen bin als die meisten Medien heutzutage.«
»Geister!« Dell schauderte. »Ich hasse es, über sie zu reden. Versteht mich recht – nicht, daß ich an solch dummes Zeug glaube, aber …«
»Wenn du es tätest, brauchtest du die Geister weder zu hassen noch dich vor ihnen zu fürchten«, versicherte ihr Mr. Cavendish. »Sie sind, mit gewissen geringfügigen Einschränkungen, wie wir. Nimm zum Beispiel einmal Grace. Als ich sie zum letztenmal sah, schien sie so wirklich wie du zu sein.«
»Sei vernünftig, Ronald«, sagte Jasper. »Du wirst uns doch wohl nicht weismachen wollen, daß du deine ganze Zeit damit verbringst, dich mit dem Geist deiner toten Frau zu unterhalten.«
Ronald Cavendish schluckte den letzten Bissen Toast hinunter, nippte noch einmal an der Milch und zündete dann die Kerzen auf dem Tisch an.
Ihr flackernder Schein tauchte die Gesichter der Runde in ein mildes Licht.
»Ich habe nichts dergleichen behauptet«, sagte Ronald Cavendish. »Es stimmt allerdings, daß ich zu Anfang einen Großteil meiner Zeit mit Grace verbracht habe. Aber dann – ich schäme mich, es einzugestehen – fing es an, mich zu langweilen. Oder genauer gesagt: Sie fing an, mich zu langweilen. Und ich fragte mich, warum ich mich immer nur mit Grace beschäftigen solle, wo mir doch so viele faszinierende Persönlichkeiten zur Verfügung standen. Man darf schließlich nicht vergessen, daß unsere Ehe durch ihren Tod ausgelöscht wurde; und dort, wo sie jetzt ist, gibt es den Begriff ›Ehe‹ nicht. Nur zu eurer Information: Ich habe Grace schon seit über vier Jahren nicht mehr gerufen.«
»Willst du damit sagen, daß du das Medium-Spielchen aufgegeben hast?« wollte Harry wissen.
»Aber nein – ganz im Gegenteil! Inzwischen habe ich eine unendliche Menge von Kontakten hergestellt.« Mr. Cavendish lächelte schwach. »Ich wünschte, ich könnte mich so ausdrücken, daß ihr mich versteht. Wie soll ich sagen? Es ist, als wären alle Bibliotheken der Welt in meinen Fingerspitzen vereint, als besäße ich das größte Museum und die umfangreichste Schallplattensammlung … Vielleicht kann ich es euch so erklären: Ihr habt doch den Flügel im Salon gesehen, nicht wahr? Oft genieße ich die Musik von Händel und Haydn – die mir die Komponisten selber vorspielen.«
»Jetzt ist er völlig übergeschnappt«, murmelte Dell, aber Mr. Cavendish hörte ihre Worte gar nicht.
»Wenn man sich vorstellt, daß ich in der Lage bin, die größten Schatten der Weltgeschichte herbeizurufen«, fuhr er fort. »Ich kann mich mit Shakespeare, Julius Cäsar und Napoleon unterhalten, während Chopin am Flügel spielt.«
»Willst du damit sagen, daß die berühmten toten Komponisten hierher kommen und auf deinem Flügel herumhämmern?« Harry war gegen seinen Willen hingerissen. »Sag einmal, wie ist das nun wirklich mit den Geistern? Stimmt es, daß sie in die Zukunft sehen können? Ich meine, wenn dich zum Beispiel ein Außenseiter bei dem morgigen Rennen in Belmont interessieren würde, glaubst du, daß dir
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