15 Tante Dimity und die Geister am Ende der Welt (Aunt Dimity Down Under)
Tante Dimity, dass es sich bei Aubrey Pym senior um einen reuelosen Wüstling gehandelt hatte, der enterbt, verstoßen und in Schande davongejagt worden war. Es hätte sie sicherlich erstaunt zu hören, dass er hier als » so etwas wie das schwarze Schaf« beschrieben wurde, dessen Benehmen lediglich » unerfreulich« gewesen war.
» Die Kluft, die sich aufgetan hatte, wurde nie mehr geschlossen«, fuhr Mr Makepeace fort. » Meinen Mandantinnen wurde es untersagt, in irgendeiner Form mit ihrem Bruder in Kontakt zu treten. Sie erfuhren natürlich von seinem Tod, aber bis vor zehn Tagen, als sie auf dem Boden einer alten Kiste ihrer Mutter einen Brief entdeckten, wussten sie nichts von der Existenz eines Neffen.«
» Von wem stammte der Brief?«, fragte ich.
» Von Aubrey senior«, antwortete der Anwalt. » Er teilte seiner Mutter die Geburt seines Sohnes mit. Ich weiß nicht, ob sie ihm geantwortet hat, aber offenbar hat sie den Brief und die Informationen, die er enthielt, vor ihren Töchtern verborgen.« Mr Makepeace strich über die Orchidee in seinem Revers, kräuselte die Lippen und hob bedeutsam die Augenbrauen. » Wie ich schon sagte, Ms Shepherd, die Kluft in dieser Familie war recht tief.«
» Was für eine schreckliche Verschwendung von Energie«, sagte ich und schüttelte missbilligend den Kopf. » Ruth und Louise hätten wunderbare Tanten abgegeben.«
» Ich fürchte, nun ist es zu spät, um eine längere Beziehung zu ihrem Neffen aufzubauen«, sagte Mr Makepeace leise. » Aber es ist noch nicht zu spät, ihm die Hand zu reichen. Man muss natürlich vorsichtig vorgehen, weiß man doch nicht, welche Reaktion ihr Friedensangebot provozieren wird. Es ist auch gut möglich, dass ihr Neffe gar nichts von ihrer Existenz weiß. Oder dass sich in ihm Hass gegen sie aufgestaut hat. Das Vorhaben der beiden muss daher mit größtem diplomatischem Geschick umgesetzt werden.«
Ich konnte mir ein Schnaufen nicht verkneifen. Man hat mich in meinem Leben schon mit so manchem Etikett versehen, aber ganz sicher noch nie mit dem eines geschickten Diplomaten. Ich verliere allzu rasch die Beherrschung, ich rede vorschnell und ich lasse mir eine gute Theorie nicht durch Fakten kaputtmachen. Wenn Ruth und Louise dachten, dass ich die Rolle eines diskreten, höflichen Gesandten einnehmen könnte, hatten sie sich gründlich getäuscht. Ein Botschafter mit meinen diplomatischen Fähigkeiten würde eine Familienfehde eher anfachen als sie ersticken.
» Es tut mir leid, Mr Makepeace«, sagte ich und tarnte mein Lachen als Husten, » aber ich fürchte, ich bin nicht die Richtige für diese Aufgabe.«
» Ich muss Ihnen widersprechen«, sagte er mit einem breiten Lächeln. » Meine Mandantinnen betrachten Sie als die perfekte Besetzung für diese Mission. Sie glauben, dass Sie im Gegensatz zu vielen anderen Erfolg haben könnten, da Sie«– er schloss die Augen, als bemühe er sich, den genauen Wortlaut der Pyms wiederzugeben– » forsch, verlässlich und neugierig sind.«
» Diktatorisch, störrisch und naseweis«, murmelte ich fast unhörbar.
» Verzeihung…?«
» Ach, spielt keine Rolle.« Ich bat ihn fortzufahren.
» Man hat mir zu verstehen gegeben, dass Sie finanziell unabhängig sind«, sagte er. » Wenn das der Fall ist, dürften Sie in der Lage sein, die Reise zu machen, ohne einen Einkommensverlust zu erleiden oder sich von Ihrem Arbeitgeber freistellen zu lassen.«
» Ich muss nicht arbeiten«, räumte ich ein. » Aber ich habe zwei Söhne und einen Ehemann, der oft unterwegs ist, also sehe ich nicht, wie…«
Mr Makepeace hielt einen seiner fleischigen Finger hoch.
» Meine Mandantinnen«, fuhr er fort, » glauben, dass Ihr Schwiegervater, der gegenwärtig bei Ihnen wohnt, nicht nur in der Lage ist, sich um Ihre Söhne zu kümmern, sondern auch froh über die Gelegenheit wäre.«
» Mein Schwiegervater geht prächtig mit den Jungen um«, sagte ich. » Aber er hat keine Ahnung von Kochen, Waschen und Putzen, also…«
» Meine Mandantinnen«, unterbrach mich Mr Makepeace, » haben mich davon unterrichtet, dass Ihr Schwiegervater über, ähm, Scharen von Bewunderinnen verfügt, die ihm nur allzu gerne zur Hand gehen würden. Man hat mir versichert, dass die, ähm, lustigen Witwen von Finch– das sind nicht meine Worte– um das Privileg wetteifern werden, Ihrer Familie all die häuslichen Annehmlichkeiten zu bieten, die sie gewohnt ist.«
Ich schürzte die Lippen. So wie ich die lustigen Witwen von Finch
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